Ökonomische Auswirkungen der im Ampel-Koalitionsvertrag skizzierten Energiewende

_ Jurij Kofner, Ökonom, MIWI Institut für Marktintegration und Wirtschaftspolitik. München, 17. Januar 2022.

Im Rahmen ihrer Klimaambitionen kündigte die Ampelkoalition an, die Energiewende sowie den Übergang zu einer strom- und wasserstoffbasierten Wirtschaft zu beschleunigen.

Im Jahr 2020 überstieg die Bruttostromerzeugung in Deutschland (544,9 TWh) die Bruttostromnachfrage (565,9 TWh) noch um 21 TWh.[1] Aufgrund des erhöhten Stromeinsatzes für Verkehr, Wärme und H2-Erzeugung schätzt das EWI bis 2030 einen Anstieg des inländischen Strombedarfs auf knapp 700 TWh.[2]

Das Festhalten am Ausstieg aus der Kernenergie bis 2023, das Vorziehen des geplanten Kohleausstiegs von 2038 auf 2030, sowie die avisierte Umstellung von Erdgas- auf Wasserstoffkraft werden jedoch bis 2030 eine Stromlücke von rund 87 TWh schaffen, die durch Importe gedeckt werden müssen, da die heimische Stromerzeugung nur ca. 611 TWh erreichen wird.[3]

Der beschleunigte Ausbau volatiler und wetterabhängiger PV- und Windkraft auf Kosten der grundlastfähigen und regelbaren Kern- und Kohlekraft wird die Versorgungssicherheit massiv untergraben. Auch 2019 übertraf Deutschlands installierte Leistung an grundlastfähiger und regelbarer Energie (105 GW) den Jahresspitzenbedarf (82 GW) um 23 GW.[4] Bis 2030 wird die verfügbare Kapazität (einschließlich realistisch machbarer Energiespeicherung) auf 70 GW schrumpfen, während die jährliche Spitzennachfrage 94 GW erreichen wird, wodurch eine Kapazitätslücke von 24 GW entstehen wird. Laut einer weiteren ewi-Studie kann diese (typischerweise winterliche) Kapazitätslücke die deutsche Wirtschaft im Jahr 2030 rund 0,4 Prozent des BIP oder 13,5 Mrd. Euro (162 Euro pro Kopf) kosten.[5]

Um dieses Problem zumindest teilweise abzumildern, erwägen Energiemarktforscher die Einführung des sogenannten „Demand Side Management“, so der euphemistische Begriff für die kontrollierte zeitlich begrenzte Abschaltung der Stromversorgung bestimmter Sektoren. Im Jahr 2030 könnten dadurch 4 GW Bedarf „eingespart“ werden. Davon wären bis zu 11,3 Prozent des Industriesektors oder bis zu 54 Prozent der E-Mobilität betroffen.[6] Bundeskanzler Olaf Scholz von der SPD hat diese Möglichkeit in einer Wahldebatte im Sommer 2021 angedeutet.[7]

Der Koalitionsvertrag sieht bis 2030 den Ausbau der erneuerbaren Energien – vor allem von Photovoltaik und Windkraft – auf 80 Prozent des Energiemixes vor (von 44,6 Prozent im Jahr 2020).[8] Wichtigstes Instrument zur Förderung des Ausbaus der erneuerbaren Energien waren in den letzten 20 Jahren die vom Verbraucher bezahlte EEG-Umlage und die Vorrangeinspeisung auf Kosten der Grundlast- und Regelkraftwerke. Im Jahr 2020 belief sich die EEG-Umverteilung auf 30,9 Mrd. Euro.[9] Trotz des weit verbreiteten Irrglaubens wird die Ampelregierung nicht die EEG-Umlage an sich abschaffen, sondern diese nur teilweise über den Haushalt finanzieren. Die geplante Ausweitung der erneuerbaren Energien wird die Gesamtkosten für die EEG-Förderung damit auf bis zu 65,5 Mrd. Euro verdoppeln. Das entspricht 48,2 Mrd. Euro im Jahresdurchschnitt, ergo 1,4 Prozent des BIP oder 581 Euro pro Bürger.

Der Koalitionsvertrag erwähnt die Evaluierung neuer Instrumente und Mechanismen im Strommarktdesign zur Gewährleistung sicherer Kapazitäten erneuerbarer Energien. Die EEG-Förderung von der Grundlast- und Regelleistungsbereitstellung abhängig zu machen, z.B. über das Modell der Kombi-Kraftwerkvergütung (KKV), wäre ein begrüßenswerter Kompromiss, um weitere finanzielle Anreize für die Erneuerbaren zu setzen, gleichzeitig aber die Grundlaststabilität zu erhöhen und die EEG-Förderung insgesamt zu senken.[10] Dass die Koalitionsregierung einen solchen Ansatz umsetzen wird, erscheint jedoch unwahrscheinlich, da dieser dessen überambitionierten Ziel, 80 Prozent „grünen“ Stroms bis 2030 zu erreichen, entgegenwirken würde.

Für die angestrebte Energiewende und das Erreichen der Klimaneutralität schätzt die KfW-Förderbank die notwendigen Investitionen in das nationale Energiesystem auf jährlich rund 28 Mrd. Euro ein (0,8 Prozent des BIP oder 338 Euro pro Kopf).[11]

Durch den Ausbau volatiler Wind- und Solarenergie werden sich allein die Kosten für Netto-Stabilisierungsmaßnahmen von 1,1 auf 2,4 Mrd. Euro im Jahr 2030 mehr als verdoppeln. Das entspricht durchschnittlichen jährlichen Kosten von 1,7 Milliarden Euro oder 20 Euro pro Person (0,1 Prozent des BIP).[12]

Deutschland hat bereits jetzt die höchsten Strompreise der Welt. Insgesamt wird die oben beschriebene Vertiefung der Energiewende nach Schätzungen der Prognos AG die Strompreise um weitere 50 Prozent erhöhen. Dies würde für die Haushalte eine Erhöhung von 31,4 auf 62,8 Euro-Cent pro KWh und für die Industrie von 18,6 auf 37,2 Euro-Cent pro KWh bedeuten.[13]

Um den Carbon-Leakage-Druck für große energieintensive Industriezweige zu reduzieren, unterstützt die Ampelregierung nicht nur den EU-CO2-Grenzausgleich, sondern erwägt auch die Subventionierung eines Industriestrompreises. Angesetzt auf dem durchschnittlichen EU-Preisniveau für industrielle Großverbraucher betrüge die durchschnittliche jährliche Fördersumme 11,6 Mrd. Euro (0,3 Prozent des BIP) oder 140 Euro pro Kopf.[14]

Die Ampel-Koalitionäre wollen die Photovoltaik-Kapazitäten von 54 GW in 2020 auf 200 GW bis 2030 ausweiten und 2 Prozent der Landesfläche für Windkraftanlagen bereitstellen. Zum Vergleich: Das würde bedeuten, einen Solarpark größer als das Saarland (2920 km2) und einen Windpark von der Größe Oberfrankens (7148 km2) zu schaffen.

Zusammengenommen kostet die Energiewende (inklusive CO2-Abgabe und EU-ETS) die deutsche Wirtschaft jährlich 127,5 Mrd. Euro, also 3,7 Prozent des BIP oder 1537 Euro pro Kopf und Jahr.

Quellen

[1] BDEW (2021). Stromerzeugung und -verbrauch in Deutschland. URL: https://www.bdew.de/media/documents/20210322_D_Stromerzeugung1991-2020.pdf

[2] ewi (2021). Klimaneutralität 2045 – Transformation der Verbrauchssektoren und des Energiesystems. Deutsche Energie-Agentur (dena). URL: https://www.ewi.uni-koeln.de/en/publications/dena-ls2/

[3] Eigene Berechnungen basierend auf: ewi (2021).

[4] MWIDE (2021). Versorgungssicherheit. URL: https://www.wirtschaft.nrw/sites/default/files/asset/document/2018-08-17_anlage_2_versorgungssicherheit_final.pdf | ewi (2021).

[5] E-CUBE Strategy, ewi (2020). 2030 Peak Power Demand in North-West Europe. URL: https://www.ewi.uni-koeln.de/cms/wp-content/uploads/2020/09/E-CUBE-EWI-2030-Peak-Power-Demand-in-North-West-Europe-vf3.pdf

[6] Eigene Berechnungen basierend auf: ewi (2021).

[7] Deutschlandkurier (2021). Ökosozialistische Planwirtschaft: SPD-Scholz träumt schon von Stromrationierung! URL: https://deutschlandkurier.de/2021/09/oekosozialistische-planwirtschaft-spd-scholz-traeumt-schon-von-stromrationierung/

[8] BDEW (2020). Anteil Erneuerbarer Energien an der Bruttostromerzeugung in Deutschland in den Jahren 1990 bis 2020. URL: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1807/umfrage/erneuerbare-energien-anteil-der-energiebereitstellung-seit-1991/

[9] Zaboji N. (2021). Ökostromförderung erreicht Rekord. FAZ. URL: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/klima-nachhaltigkeit/30-9-milliarden-euro-oekostromfoerderung-erreicht-rekord-17141915.html

[10] Kofner Y. (2021). Ensuring supply-side security of the German energy transition: introducing the combined power plant concept (KKV). MIWI Institute. URL: https://miwi-institut.de/archives/1110

[11] Brand S. et al. (2021). 5 Bio. EUR klimafreundlich investieren – eine leistbare Herausforderung. KfW Research. URL: https://www.kfw.de/PDF/Download-Center/Konzernthemen/Research/PDF-Dokumente-Fokus-Volkswirtschaft/Fokus-2021/Fokus-Nr.-350-Oktober-2021-Investitionsbedarfe-Klimaneutralitaet.pdf

[12] Eigene Berechnungen basierend auf:  Kirchner A. (2021). Bezahlbare Strompreise. Anhörung im Bayerischen Landtag. Prognos AG.

[13] Eigene Berechnungen basierend auf:  Faltlhauser M. (2020). Zahlen und Fakten zur Stromversorgung in Deutschland. Wirtschaftsbeirat Bayern. URL: https://www.wbu.de/media/news/positionen/publikationen/2020_ZahlenundFaktenzurStromversorgunginD2020.pdf

[14] Eigene Berechnungen basierend auf: BDEW (2020). Energiemarkt Deutschland 2020. URL: https://www.bdew.de/media/documents/BDEW_Energiemarkt_Deutschland_2020.pdf | ewi (2021). | BMWi, Eurostat (2021). Electricity prices for industries in the European Union in 2020, by country. URL: https://www.statista.com/statistics/1046605/industry-electricity-prices-european-union-country/

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