Bessere Regulierung der digitalen Plattformmärkte in Deutschland und der EU
_ Jurij Kofner, Ökonom, MIWI – Institut für Marktintegration und Wirtschaftspolitik. München, 25. März 2021.
Die Digitalisierung (Industrie 4.0) ist ein dynamischer, disruptiver Strukturwandel, der sich zunehmend auf die deutsche und europäische Wirtschaft auswirkt – vor allem durch eine monopolistische Marktmacht amerikanischer Internetkonzerne bei gleichzeitig unzureichender Regulierung der digitalen Plattformmärkte.
Digitale Plattformen sind typischerweise Online-Matchmaker oder Technologie-Frameworks. Die mit Abstand häufigste Art sind „Transaktionsplattformen“, auch bekannt als „digitale Vermittler“. Beispiele für Transaktionsplattformen sind Amazon, Airbnb, Uber und Baidu.
Ein zweiter Typ ist die „Innovationsplattform“, die ein gemeinsames Technologie-Framework bereitstellt, auf dem andere aufbauen können (unter Verwendung von APIs), wie zum Beispiel die vielen unabhängigen Entwickler, die auf der Microsoft-Plattform arbeiten.
Corona beschleunigte den Aufstieg digitaler Plattformen in Deutschland und der EU
Nach den Erkenntnissen des Münchner ifo Instituts lag das Umsatzwachstum in den digitalen Plattformmärkten in Deutschland in den letzten Jahren deutlich über dem Durchschnitt des stationären Handels. Aufgrund der Corona-Beschränkungen verzeichneten digitale Plattformen im ersten Quartal 2020 ein starkes Umsatzwachstum von knapp 10 Prozent (gegenüber einem Plus von 3,9 Prozent im Durchschnitt im Handel und knapp minus 70 Prozent in der Automobilindustrie). Die großen Internetkonzerne, allen voran Amazon, haben deutlich von den Corona-Beschränkungen profitiert. Im ersten Quartal 2020 stieg der weltweite Umsatz von Amazon im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 25 Prozent. Auch ihr Umsatzwachstum in Deutschland dürfte im zweistelligen Bereich gelegen haben.
Doch obwohl sich Amazon zunehmend als Marktplatz positioniert hat, konnten die teilnehmenden Händler nicht in gleichem Maße von der steigenden Online-Nachfrage profitieren. In Deutschland prüft das Bundeskartellamt derzeit, ob Amazon seine Marktmacht als digitale Plattform auf Kosten seiner teilnehmenden Händler ausgenutzt hat. [1]
In der EU ist der Anteil der Personen, die Internetkäufe tätigen, zwischen 2010 und 2019 von 27 auf fast 50 Prozent gestiegen. [2]
Laut einer aktuellen Umfrage von UPS, die anlässlich des Inkrafttretens der Corona-Beschränkungen durchgeführt wurde, bewerten 58 Prozent von knapp 250 europäischen E-Commerce-Unternehmen ihre wirtschaftliche Lage als positiv oder sehr positiv. Rund drei Viertel gehen davon aus, dass ihr Umsatz in den nächsten 5 Jahren steigen wird. Fast die Hälfte dieser E-Commerce-Unternehmen verkauft über Online-Marktplätze wie Amazon und eBay. [3]
Netzwerkeffekte und Monopolmacht digitaler Plattformen
Die digitale Plattformökonomie zwingt nationale und europäische Kartellbehörden zu neuen und komplexeren Ansätzen, um den Wettbewerb als Basis der sozialen Marktwirtschaft zu sichern.
Dies liegt daran, dass sich digitale Plattformen mit der Nutzung von Big Data eine erhebliche Marktmacht verschaffen, die das Wettbewerbsumfeld und sogar die volkswirtschaftliche Sicherheit aus folgenden Gründen potenziell gefährden kann:
Zum einen konzentriert sich aufgrund sogenannter Netzwerkeffekte die Marktmacht in einigen digitalen Plattformunternehmen, was einen lebendigen Wettbewerb erschwert. Netzwerkeffekte liegen vor, wenn der Wert eines Dienstes oder Netzwerks von der Anzahl der Benutzer dieses Dienstes abhängt. Je mehr Benutzer es gibt, desto nützlicher wird das Netzwerk für jeden Benutzer einzeln und als Ganzes. Solche Netzwerkeffekte können durch die Macht von Big Data verstärkt werden.
Zum anderen begünstigen hohe Switching-Kosten neben Netzwerkeffekten eine mangelnde Interoperabilität, die auch zu einer Lock-in-Situation der Nutzer führen und die Marktkonzentration begünstigen kann.
Drittens gibt es noch eine andere Dimension: Eine rasche Konzentration der Marktmacht in so genannten „The-Winner-takes-it-all“-Märkten führt zu großen Skaleneffekten und einige Unternehmen in diesen Märkten können zusätzliche Profite. So hat beispielsweise Google (mit YouTube, Bildersuche und Karten) einen Marktanteil von 90,8 Prozent. Die restlichen 9,2 Prozent teilen sich andere Plattformen wie Yahoo, Amazon und Bing. [4]
Viertens weist die digitale Wirtschaft eine weitere Besonderheit auf. Während in regulären Märkten eine erhöhte Marktmacht tendenziell zu einem Rückgang der Innovation führt, sind leistungsstarke Digitalunternehmen eher Innovationstreiber. Sie gehören im weltweiten Vergleich zu den Unternehmen mit den höchsten Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E). Allein das Forschungsbudget von Amazon und Google belief sich 2017 auf 16,1 Mrd. USD bzw. 13,9 Mrd. USD, was zusammengenommen nur knapp unter den gesamten deutschen F&E-Ausgaben im selben Jahr von ca. 19,3 Mrd. USD (Wambach, 2019).
Darüber hinaus gilt auch die allgemeine Regel, dass Marktmacht per se nicht verboten ist. Es ist nur verboten, wenn Marktmacht für unlautere Praktiken ausgenutzt wird. Um angemessen auf die neuen Auswirkungen der „Plattformisierung“ zu reagieren, sollte die Politik Regelungen treffen, die das Innovationspotenzial und den Mehrwert der globalisierten Digitalisierung nicht bestrafen. Solche Regelungen könnten auf folgenden Grundsätzen beruhen:
Transparenzpflicht für die Wirkung von Algorithmen
Ein wichtiges, wettbewerbs- und datenschutzrelevantes Element ist erstens die Transparenz über die Verwendung der Daten, die dazu beitragen würde, Informationsasymmetrien abzubauen und Kundennutzer besser auf bestimmte Angebote auf den Plattformen reagieren zu lassen. Kunden können so besser darauf reagieren, wie, von wem und zu welchen Zwecken ihre Daten von digitalen Unternehmen erhoben werden.
Ein Transparenzgebot für die Wirkung von Algorithmen wäre ratsam, damit die Nutzer zuverlässig beurteilen können, ob das Netzwerk versucht, sie zu beeinflussen, und sie selbst entscheiden können, welche Filter und Personalisierungen sie in der digitalen Welt akzeptieren wollen – und welche sie nicht.
Treffen Algorithmen automatisiert Entscheidungen, sollten sie grundsätzlich auf die Einhaltung von Diskriminierungsverboten, Datenschutzrecht, Wettbewerbsrecht und anderen gesetzlichen Vorgaben überprüfbar sein. Aus diesem Grund ist ein Transparenzgebot für die Wirkung von Algorithmen notwendig, damit Verbraucher und Gesetzgeber zuverlässig beurteilen können, ob digitale Plattformunternehmen gegen Diskriminierungsverbote, Datenschutzrecht, Wettbewerbsrecht und andere rechtliche Vorgaben verstoßen.
Datenübertragbarkeit und einfacher Wechsel
Zweitens besteht eine weitere Möglichkeit, den Wettbewerb zwischen digitalen Plattformen zu erhöhen, darin, die Wechselkosten zu senken. Ein Wechsel zwischen den Plattformen kann aufgrund eines zu hohen Preises oder aufgrund von Datenschutzproblemen beeinträchtigt sein. Interoperabilität sollte daher eine Anforderung des Gesetzgebers an Plattformunternehmen sein.
Drittens ist die Datenübertragbarkeit, die die Kundendaten als Eigentum behandelt, eine weitere verwandte Maßnahme. Die im Mai 2018 in Kraft getretene europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) enthält das Recht auf Datenübertragbarkeit, dh Nutzer einer Plattform haben das Recht, die Herausgabe ihrer Daten zu verlangen. Es wird erwartet, dass auch die Möglichkeit, Daten von einer Plattform auf eine konkurrierende zu übertragen, den Wettbewerbsdruck erhöhen wird.
Paketversand und De-minimis-Handel
Digitale Plattformen werden wahrscheinlich die globalen Handelsmuster durch „Pakete“ verändern, die häufiger als „De-minimis-Handel“ bezeichnet werden. Das Wachstum von Online-Plattformen hat dazu geführt, dass immer mehr kleine Pakete über internationale Grenzen hinweg verkauft werden. Im Jahr 2015 wurden die E-Commerce-Transaktionen weltweit auf 260 Mrd. USD geschätzt, die überwiegend von grenzüberschreitenden Bestellungen inländischer Haushalte dominiert wurden (76 Prozent). Daraus ergeben sich für die politischen Entscheidungsträger eine Reihe von Fragen, die von der physischen Verwaltung des Pakethandels über die Auswirkungen auf das Risikomanagement (etwa im Zusammenhang mit Produktfälschungen oder Biosicherheitsstandards) bis hin zu Einnahmenauswirkungen im Zusammenhang mit der Erhebung von Steuern und Zöllen reichen . [5]
Der Pakethandel bietet eine wichtige Chance für Unternehmen, auch für solche, die ansonsten über keinen ausreichenden inländischen Kundenstamm verfügen. In den USA zum Beispiel verlassen sich 97 Prozent der kleinen Unternehmen auf eBay-gestützte Exporte, verglichen mit nur 4 Prozent der Offline-Pensionäre. [6] Regierungen können diese KMU unterstützen, indem sie den Verfahrensaufwand beseitigen und die Verwaltungsverfahren für die Paketabwicklung an der Grenze straffen.
Andererseits kann die Parzellierung zu einer Untererfassung des Handels führen. Haushalte und Firmen nutzen zunehmend Plattformen für Direktimporte, die in der amtlichen Statistik nicht berücksichtigt werden dürfen, insbesondere wenn eine Plattform eine lokale Domain-Site betreibt. Die schiere Zahl der gehandelten Pakete stellt die Zollbehörden und andere Behörden, die für die Warenkontrolle an der Grenze zuständig sind, vor neue Herausforderungen. Da immer mehr einzelne Sendungen vom Zoll abgefertigt und kontrolliert werden müssen, nimmt die Arbeitsbelastung zu, was die Kapazitäten der Grenzbehörden ausreizt, illegale Waren zu fangen oder Betrug in Bezug auf den Warenwert richtig zu erkennen. Risikobewertungsstrategien können auch schwieriger umzusetzen sein.
Eine bessere Ausrichtung der Sendungen muss es den Grenzbehörden ermöglichen, anstößige Gegenstände zu fangen und gleichzeitig den legalen Handelsfluss aufrechtzuerhalten. Ein solches Targeting könnte die Unterscheidung zwischen Sendungen mit geringem und hohem Wert, die Identifizierung vertrauenswürdiger Händler und die Nutzung der länderübergreifenden Zusammenarbeit zur Bewertung von Risiken umfassen, einschließlich derjenigen, die sich auf eine bessere Nutzung digitaler Technologien stützen. Fortschrittliche elektronische Frachtinformationen und automatisierte Risikobewertung unterstützen bereits heute die Effizienz der Grenzkontrollen, während Big Data und Mustererkennung zusätzliche nicht-intrusive Wege bieten können. [7]
Digitale Marktlandsteuer oder weltweite Körperschaftsteuer
Im digitalen und insbesondere im Plattformmodell der Wirtschaft wird das Nachfragevolumen, also die Größe der Verbraucher-/Nutzermärkte, für den Wertschöpfungsprozess und die Erzielung von Gewinnen immer wichtiger. Dieses Merkmal stellt jedoch die traditionelle Steuerpolitik vor eine neue Herausforderung. Für grenzüberschreitend tätige Digitalkonzerne wie z. B. Microsoft, Google, Facebook, Amazon, Apple und Netflix ist es besonders einfach, ihre Gewinne, die sie aus großen Märkten mit vielen Nutzern erwirtschaften, dorthin zu verlagern, wo die Steuern niedrig sind, weil sie bedienen können einen Markt ohne physische Präsenz und haben ihren Sitz daher in sogenannten Steueroasen, zB Irland innerhalb des EU-Gemeinsamen Marktes.
Aus diesem Grund erwägt die EU-Kommission noch die Einführung einer Digitalsteuer von 3 Prozent nach dem Marktlandprinzip auf Umsätze aus Online-Werbung, auf den Verkauf von Nutzerdaten und auf die Bereitstellung von Online-Marktplätzen. Es wird geschätzt, dass eine solche Steuer 3 bis 4 Mrd. EUR an neuen Steuereinnahmen bringen kann. [8]
Die G20-Staaten haben sich zudem darauf verständigt, eine weltweite Mindest-Unternehmenssteuer anzustreben und die Besteuerung von Gewinnen multinationaler Unternehmen neu zu regeln. Der Standort des Firmensitzes soll künftig weniger entscheidend sein. Stattdessen könnte ein „Marktlandprinzip“ eingeführt werden, das Gewinne nach dem Standort der Verbraucher oder Nutzer von Dienstleistungen dieser Unternehmen besteuert.
Gleichzeitig wurden die Grundsätze der Digitalsteuer und der Marktgrundbesteuerung erheblich kritisiert. Zum einen dürfte die Einführung einer Digitalsteuer zu Vergeltungsmaßnahmen in Form von Strafzöllen führen. Zweitens dürften alle exportorientierten Volkswirtschaften darunter leiden, wenn das Prinzip der Marktgrundbesteuerung weltweit umgesetzt wird. Drittens geben, wie bereits erwähnt, große Akteure der digitalen Wirtschaft im Allgemeinen mehr für die Forschung aus als andere Unternehmen. Steuererleichterungen können daher eine gerechtfertigtere Maßnahme zur Unterstützung der FuE von Unternehmen sein als neue Steuerbelastungen. [9] Anstelle einer neuen Digitalsteuer könnten Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Ländern besser koordiniert werden, um Steuervermeidungspraktiken zu bekämpfen.
Eine potenziell wirksame Methode zur Besteuerung von De-minimis-Handel könnte ein Ansatz sein, bei dem die nationale Steuerbehörde eine ausländische E-Commerce-Plattform verpflichtet, die Mehrwertsteuer auf alle in das Land verkauften Waren unabhängig zu erheben, vorausgesetzt, die Plattform importiert insgesamt eine Menge von Waren und Dienstleistungen über einer bestimmten Wertschwelle. [10]
…
Die Plattformkonzerne des digitalen Zeitalters sind vergleichbar mit den britischen Seehandelsmonopolen des 18. Jahrhunderts oder den amerikanischen Ölmagnaten des 19. Jahrhunderts. Einerseits spielen sie eine wichtige Vorreiterrolle. Andererseits müssen auch sie irgendwann dem freien Wettbewerb und geordneten Marktregeln weichen.
Anmerkungen
[1] ifo Institut (2020). E-Commerce. URL: https://www.ifo.de/branchenatlas/e-commerce
[2] Eurostat (2021). Internet purchases by individuals (until 2019). URL: https://appsso.eurostat.ec.europa.eu/
[3] UPS Europe & Statista (2020). European eCommerce Monitor 2020. URL:
[4] Visual Capitalist (2018) This Chart Reveals Google’s True Dominance Over the Web. News. URL: http://www.visualcapitalist.com/this-chart-reveals-googles-true-dominance-over-the-web/
[5] Chazerand P. (2019) Trade will never be the same. DIGITAL EUROPE. IIASA workshop presentation. URL: https://www.iiasa.ac.at/web/home/research/eurasian/PatriceChazerand_InEurasia_Dec2019.pdf
[6] Meltzer J.P. (2018) The impact of artificial intelligence on international trade. The Brookings Institution. URL: https://www.brookings.edu/research/the-impact-of-artificial-intelligence-on-international-trade/
[7] Moise E. (2019) Parcels trade: The good, the bad, and the ugly? OECD. URL: https://www.oecd.org/trade/parcels-trade-good-bad-ugly/
[8] ifo Institut (2018) Die Besteuerung der Digitalwirtschaft: Zu den ökonomischen und fiskalischen Auswirkungen der EU-Digitalsteuer. URL: https://www.ifo.de/DocDL/Studie-Digitalsteuer-2018.pdf
[9] Fuest C. (2018) Digitalisation should be promoted, not taxed. EconPol Europe. URL: https://www.econpol.eu/opinion_12
[10] Kofner Y. (2020). Digital transformation: Implications for trade policy and economic integration. IIASA. URL: http://pure.iiasa.ac.at/id/eprint/16723/
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