Bezahlbare Lebensmittel im Supermarkt trotz Inflation: Mehrwertsteuer aussetzen und Wettbewerb stärken

_ Jurij Kofner, Ökonom, MIWI-Institut. München, 12. Mai 2022.

Im April 2022 erreichte die Gesamtinflation in Deutschland 7,4 Prozent – ​​ein historischer Höchstwert seit den 1980er Jahren. Die Lebensmittelpreise stiegen im Jahresvergleich um 8,6 Prozent, vor allem Fleischprodukte um 11,8 Prozent und Speiseöl sogar um 27,3 Prozent. [1]

Dieser Anstieg der Lebensmittelpreise ist besonders regressiv, da er ärmere Haushalte am härtesten trifft, die einen größeren Teil ihres Einkommens für Lebensmittel, Energie, Transport und Miete ausgeben. [2] Bis 2021 ist der Anteil der Lebensmittelausgaben an den Konsumausgaben inländischer Haushalte im Vergleich zu 2016 um ein Sechstel gestiegen und betrug 15,4 Prozent. [3]

Dieser Anstieg der Lebensmittelpreise hat vor allem zwei Gründe: Erstens basiert er auf den gestiegenen Kosten für Erdgas (207 Prozent im März 2022 im Vergleich zum Vorjahr), Treibstoff (57 Prozent), Düngemittel (87 Prozent) und Tierfutter ( 46 Prozent) [4] – sowohl aufgrund externer (Krieg in der Ukraine, Lieferengpässe) als auch binnenwirtschaftlicher Faktoren (expansive Geldpolitik, hohe Klima- und Energiesteuern, Corona-Beschränkungen).

Zweitens könnte der mangelnde Wettbewerb im Lebensmitteleinzelhandel zu Übergewinnen führen. Im Jahr 2020 war der Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland ein Oligopol, dominiert von vier Supermarktketten, die zusammen 67 Prozent der Branche kontrollieren. [5]

Um die deutschen Haushalte ab sofort vor diesem Inflationsschub zu schützen und allen Bürgern den Zugang zu bezahlbaren Lebensmitteln zu gewährleisten, sind daher zwei Maßnahmen notwendig: Erstens muss die Umsatzsteuer auf Grundnahrungsmittel vorübergehend auf 0 Prozent gesenkt werden.

Um die deutschen Haushalte ab sofort vor diesem Inflationsschub zu schützen und allen Bürgern den Zugang zu bezahlbaren Lebensmitteln zu gewährleisten, wären zwei Maßnahmen nötig: Erstens soll die Umsatzsteuer auf Grundnahrungsmittel vorübergehend auf 0 Prozent gesenkt werden.

Unterstützt wird diese Forderung unter anderem vom Sozialverband VdK, dem Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) und der Deutschen Diabetes Gesellschaft, dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). [6] Einer aktuellen Umfrage zufolge würden 77 Prozent der Bürger eine vorübergehende Aussetzung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel befürworten.

Zu beachten ist, dass es aufgrund einer Änderung der EU-Mehrwertsteuersystemrichtlinie ab April 2022 nun grundsätzlich möglich ist, die Mehrwertsteuer auf 15 Prozent zu senken, die Mehrwertsteuer auf 5 Prozent zu senken und Lebensmittel generell von der Mehrwertsteuer zu befreien. [7]

Untersuchungen des Ifo-Instituts zeigen, dass die Senkung des Mehrwertsteuersatzes im Jahr 2020 zu einem Preisverfall in Einzelhandelssupermärkten von rund 1,3 Prozent führte, sodass rund 70 Prozent der Steuersenkung an die Verbraucher weitergegeben wurden. [8]

Das Statistische Bundesamt schätzt, dass die Umsatzsteuersenkung 2020 die Inflation um 160 Basispunkte reduziert hatte. [9]

Zweitens ist zu prüfen, ob die ordoliberalen marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Lebensmitteleinzelhandel weiterhin eingehalten werden und ob die großen Handelsketten nicht ihre oligopolistische Marktmacht missbrauchen.

Anmerkungen

[1] Destatis (2022). Inflationsrate im April 2022 bei +7,4 %. URL: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/05/PD22_196_611.html

[2] IW Köln (2022). Haushalte vom Preisanstieg unterschiedlich stark betroffen. URL: https://www.iwd.de/artikel/haushalte-vom-preisanstieg-unterschiedlich-stark-betroffen-532167/

[3] Destatis (2022). Anteil der Ausgaben der privaten Haushalte in Deutschland für Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren an den Konsumausgaben in den Jahren 1850 bis 2021. URL: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/75719/umfrage/ausgaben-fuer- nahrungsmittelin-deutschland-seit-1900/

[4] Destatis (2022). Erzeugerpreise März 2022: +30,9 % gegenüber März 2021. URL: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/04/PD22_172_61241.html

[5] BVE (2021). Marktanteile der führenden Unternehmen im Lebensmittelhandel in Deutschland in den Jahren 2009 bis 2020. Jahresbericht 2021. URL: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/4916/umfrage/marktanteile-der-5-groessten-lebensmitteleinzelhaendler/

[6] Bach S. (2011). Volle Mehrwertsteuer auf Nahrungsmittel belastet vor allem Geringverdiener. DIW. URL: https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.371848.de/11-16-1.pdf

[7] FAZ (2022). Werden Lebensmittel wegen der Inflation von der Mehrwertsteuer befreit? URL: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/inflation-keine-mehrwertsteuerbei-lebensmitteln-gefordert-17972004.html

[8] Fuest C. (2022). Die Weitergabe vorübergehender Mehrwertsteuersenkungen im deutschen Supermarkteinzelhandel. ifo Institut. URL: https://www.ifo.de/DocDL/wp-2020-341-fuest-neumeier-stoehlker-temporary-vatrate-cuts.pdf

[9] Egner U. (2021). Senkung der Mehrwertsteuersätze im Zuge der Corona-Pandemie – wie wirkte sie auf die Inflation? Destatis. URL: https://www.destatis.de/DE/Methoden/WISTA-Wirtschaft-und-Statistik/2021/03/senkungmehrwertsteuersaetze-corona-pandemie-032021.pdf?__blob=publicationFile

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