Der Tag der Arbeit: Wer verhindert höhere Löhne?

_ Jurij C. Kofner, Ökonom, MIWI Institut. München, 1. Mai 2024.

Am Tag der Arbeit rücken die Arbeitsbedingungen und die Rechte der Arbeiter in den Fokus der öffentlichen Diskussion. Eine pauschale, ja beinahe plumpe Forderung, die immer wieder von Linken, Grünen und der SPD erhoben wird, sind Lohnerhöhungen für die Arbeiter. Doch ist dies wirklich das Allheilmittel zur Sicherung von Fachkräften, wie es oft dargestellt wird?

Die Forderung nach Lohnerhöhungen

Die Forderung nach Lohnerhöhungen ist nicht neu und wird nicht nur von offen Linken erhoben. 2023 schlugen sogar der Präsident des ifo Instituts, Clemens Fuest, und der Leiter des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit, Simon Jäger, vor, einfach dort höhere Löhne zu zahlen, wo es an Fachkräften mangelt.[1]

Tatsächlich sind die Nominallöhne in Deutschland in der letzten Dekade um fast ein Viertel (24 Prozent) gestiegen. Doch aufgrund der Corona-Einschränkungen und der jüngsten Preisexplosion zwischen 2020 und 2023 sind die Reallöhne um beispiellose 5,1 Prozent gesunken. Dies hat die Wohlfahrtsgewinne der arbeitenden Bevölkerung seit 2014 zunichtegemacht.

Die Problematik von Lohnerhöhungen

Die Reaktion, „einfach höhere Löhne zu zahlen“, ist jedoch nicht so einfach und erfolgversprechend, wie behauptet wird.

Nominallohnerhöhungen ohne reales Produktivitätswachstum werden nur von der aktuellen Inflation aufgezehrt und führen zu weiteren Preissteigerungen in der Zukunft.

So hatte bereits deutliche Sprung des Mindestlohns von 10,45 auf 12 Euro pro Stunde im Jahr 2022 die Inflation nur weiter angeheizt[2] und nicht dazu beigetragen, die Fachkräftelücke zu schließen. Diese betrifft vor allem die anspruchsvolleren Stellen mit ausreichender Qualifikation.

Lohnerhöhungen sind ein natürliches Marktsignal der Unternehmen als Reaktion auf die Knappheit von Arbeitskräften und bedüften somit keiner weiteren staatlichen Einmischung. Dass dies nicht im gewünschten Umfang geschieht, liegt weniger am vermeintlich „perfiden“ Interesse der Unternehmer ihre eigenen Gewinnmargen möglichst hoch zu halten, sondern vielmehr am steigenden Anteil von Steuer- und Bürokratiekosten an den Unternehmensausgaben.

Seit dem Amtsantritt von Angela Merkel (CDU) in 2005 ist die deutsche Steuer- und Abgabenquote im Vergleich zum BIP von 34,4 auf 40,7 Prozent im Jahr 2022 angestiegen und befindet sich seither im obersten Drittel unter den OECD-Staaten.[3] Im Jahr 2023 machten Lohnsteuern und Sozialabgaben 47,9 Prozent der Arbeitskosten eines durchschnittlichen Alleinstehenden aus, womit Deutschland hinter Belgien den zweiten Platz einnimmt.[4]

Im Jahr 2017 (bedauerlicherweise stellte Destatis die diesbezügliche Datenerhebung danach ein) machten die gesetzlichen Sozialkosten und Kostensteuern zwischen 4,1 und 5 Prozent der Kostenstruktur von KMU im Verarbeitenden Gewerbe in Deutschland aus.[5]

Um höhere Löhne zahlen zu können, sollten Unternehmer daher von steuerlichen und bürokratischen Belastungen entlastet werden. Studien zu Arbeitsmärkten in Norwegen,[6] Finnland[7] und Schweden[8] kamen alle zu dem Ergebnis, dass eine Senkung der Lohnsteuer neue Arbeitsplätze schafft und teilweise das Lohnniveau erhöht.

Die Grenzen von Lohnerhöhungen

Ökonomen des IW Köln weisen zu Recht hin, dass Arbeit in der Regel eine Dienstleistung mit unelastischer Substituierbarkeit ist.[9] Ein ungelernter Bäckerhelfer kann nicht einfach in einen Job als Fachinformatiker im Automobilbau wechseln, nur weil dieser besser bezahlt wird. Eine Lohnerhöhung in Mangelberufen hätte in einer Marktsituation schlichtweg nicht verfügbarer qualifizierter Arbeitskräfte daher nur eine begrenzte Wirkung. Zunächst wäre eine ausreichende Um- und Aufschulung anders- oder unqualifizierter Arbeitskräfte erforderlich.

Schließlich, und das muss auch gesagt werden, hat Deutschland im internationalen Vergleich schon recht hohe Lohnstückkosten im Verarbeitenden Gewerbe (Platz 7 im Jahr 2021).[10] Weitere Lohnerhöhungen ohne echte Produktivitätssteigerung würden Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit weiter verschlechtern.

Fazit

Am Tag der Arbeit sollten wir daher nicht nur über Lohnerhöhungen diskutieren, sondern auch über die Rahmenbedingungen, die es Unternehmen ermöglichen, höhere Löhne zu zahlen. Dazu gehören eine Senkung der Steuer- und Abgabenlast, eine Reduzierung der Bürokratie und eine bessere Qualifizierung der Arbeitskräfte. Nur so können wir sicherstellen, dass die Arbeit in Deutschland auch in Zukunft ihren Wert behält.

Quellen

[1] Fuest C., Jäger S. (2023). Gegen den Fachkräftemangel: Mehr Lohn als Mittel. FAZ. URL: https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/buero-co/gegen-den-fachkraeftemangel-mehr-lohn-als-mittel-18721012.html

[2] Link S. (2022). Erhöhung des Mindestlohns lässt Preise steigen. ifo Institut. URL: https://www.ifo.de/pressemitteilung/2022-09-09/erhoehung-des-mindestlohns-laesst-preise-steigen

[3] BMF. (2024). Abgabenquote¹ in Deutschland von 1991 bis 2023. URL: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/157905/umfrage/entwicklung-der-abgabenquote-in-der-deutschland-seit-1991/

[4] OECD (2024). Taxing Wages 2024. Tax and Gender through the Lens of the Second Earner. URL: https://www.oecd.org/tax/taxing-wages-20725124.htm

[5] KMU machen 97,7 Prozent aller Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe aus. | Destatis (2019). Kostenstruktur der Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes. 2017. URL: https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Industrie-Verarbeitendes-Gewerbe/Publikationen/Downloads-Struktur/kostenstruktur-2040430177004.html

[6] Ku, H. et al. (2020). Do place-based tax incentives create jobs? University College London. URL: https://doi.org/10.1016/j.jpubeco.2019.104105

[7] Benzarti Y., Harju J. (2021). Using Payroll Tax Variation to Unpack the Black Box of Firm-Level Production. University of California. URL: https://doi.org/10.1093/jeea/jvab010

[8] Saez E. et al. (2019). Payroll Taxes, Firm Behavior, and Rent Sharing: Evidence from a Young Workers’ Tax Cut in Sweden. University of California.  URL: https://doi.org/10.1257/aer.20171937

[9] Burstedde A., Werner D. (2023). Fachkräftemangel – keine einfache Lösung durch höhere Löhne. IW Köln. URL: https://www.iwkoeln.de/studien/alexander-burstedde-dirk-werner-fachkraeftemangel-keine-einfache-loesung-durch-hoehere-loehne.html

[10] Schröder C. (2022). Lohnstückkosten im internationalen Vergleich. Kostenwettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie in Zeiten multipler Krisen. IW Köln. URL: https://bit.ly/43EUXKp

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