Deutsche und EU-Lieferkettengesetze werden niemandem helfen, aber allen schaden

_ Jurij Kofner, Ökonom, MIWI – Institut für Marktintegration und Wirtschaftspolitik. München, 12. März 2021.

Die Einhaltung bestimmter sozialer und ökologischer Standards ist eine wichtige Aufgabe der Sozialen Marktwirtschaft. Nach Ansicht des deutschen ordoliberalen Ökonomen Walter Eucken (1952) gehört sie im Inland zur regulierenden Rolle des nationalen Ordnungsrechts. [1] Auf globaler Ebene kann dieses „öffentliche Gut“ jedoch am besten durch internationale Beziehungen bereitgestellt werden. Hier ansetzend schützt Menschen- und Arbeitnehmerrechte sowie die Umwelt mehr als ein nationaler oder überregionaler (EU) Alleingang.

Die Globalisierung deutscher und europäischer Produktionsprozesse im kapitalistischen System hat zu einem immensen Wohlstandszuwachs in den Schwellen- und Entwicklungsländern geführt, weil die dortigen westlichen Unternehmen relativ besser bezahlte Arbeitsplätze und höhere Umweltstandards schaffen, als es ohne ihr Engagement der Fall wäre. Derzeit stammt rund ein Viertel der deutschen Warenimporte aus Entwicklungs- und Schwellenländern mit einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von weniger als 12.500 US-Dollar. Die Endnachfrage in Deutschland sichert eine Wertschöpfung in den Nicht-OECD-Ländern im Gesamtwert von 176 Mrd. USD, die Endnachfrage der EU-Staaten steht für eine Gesamtwertschöpfung von 926 Mrd. USD, die in diesen Ländern geschaffen wird. [2]

Die Bundesregierung [3] und die Europäische Kommission [4] planen nun die Einführung von Lieferkettengesetzen, nach denen deutsche und europäische Unternehmen zur Rechenschaft gezogen, haftbar gemacht und mit Geldstrafen belegt werden können, wenn sie die Missachtung von Kindern, Menschen- und Arbeitsrechte sowie Umweltstandards ihrer ausländischen Lieferanten innerhalb ihrer Wertschöpfungsketten billigen oder sogar fördern.

Nach Meinung führender Wirtschaftsforschungsinstitute (z. B. Kieler Institut für Weltwirtschaft, IW Köln) und Wirtschaftsverbänden (z. B. BDI, BDA, DIHK) [5] hat dieser Ansatz jedoch erhebliche Nachteile und wird tatsächlich den gegenteiligen Effekt haben. Denn die Lieferkettengesetzgebung auf nationaler und EU-Ebene:

  • ist teilweise unnötig, da viele deutsche Unternehmen bereits freiwillig soziale und ökologische Sorgfaltspflichten in ihre Unternehmenspolitik aufnehmen, z.B. ILO-Konventionen, ISO-Standards, OECD-Richtlinien, [6] und damit einen Beitrag zur lokalen Nachhaltigkeit in den Lieferländern leisten; [7]
  • ist praktisch undurchführbar, da moderne internationale Lieferketten äußerst komplex sind. Selbst eine einfaches weißes Hemd hat oft mehrere Tausend Produktionsschritte; [8]
  • wird deutsche Unternehmen mit noch mehr bürokratischen Anforderungen belasten; [9]
  • wird die Kosten für Vorleistungsleistungen und damit die Endprodukte deutscher Unternehmen erhöhen;
  • wird zum Rückzug der betroffenen deutschen Unternehmen aus den Schwellen- und Entwicklungsländern führen;
  • und damit nicht nur die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen weiter verringern, sondern auch den Wohlstand in Deutschland schmälern; [10]
  • wird dazu führen, dass Unternehmen aus anderen Teilen der Welt, in denen Menschen- und Arbeitsrechte sowie Umweltschutz eine viel geringere Bedeutung haben, z.B. aus China, die von den zurückgezogenen deutschen Unternehmen frei gewordenen Marktanteile übernehmen;
  • wird Arbeitnehmer (einschließlich Kinder) in den Lieferländern in noch schlechtere Arbeitsbedingungen im informellen Wirtschaftssektor drängen, die im Rahmen internationaler Lieferketten nicht existieren, z.B. unkontrollierter Bergbau und Prostitution; [11]
  • wird das durch deutsche Wertschöpfungsketten erzielte Wohlfahrtswachstum in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern reduzieren, z.B. bis zu 1 Prozent des BIP in Kambodscha, Vietnam und Malaysia. [12]

Das Problem ist nicht, dass deutsche Unternehmen angeblich Gesetzes- oder Umsetzungslücken in den Lieferländern ausnutzen, sondern die Lücken selbst. Denn viele Schwellen- und Entwicklungsländer haben Schutzkonventionen im Kinder-, Arbeits-, Menschen- und Umweltrecht zwar formal ratifiziert, aber noch nicht umgesetzt.

Daher sollten deutsche Unternehmen nicht die Last einer unzureichenden Sozial- und Umweltpolitik in diesen Ländern tragen. Wie die Klimapolitik ist dies ein globales Problem, dem nur eine globale Lösung gerecht werden kann.

Die Bundesregierung und die Europäische Kommission sollten daher das geplante Lieferkettengesetz und die EU-Gesetzgebung zur Unternehmensverantwortung ablehnen. Stattdessen sollten sie auf maximal multilateraler Ebene die Regierungen der Lieferländer dazu bringen, international anerkannte soziale und ökologische Standards de facto umzusetzen. [13]

Dies könnte durch folgende Mittel erreicht werden:

  • Signalisierung einer möglichen Kürzung der Entwicklungshilfe. Im Jahr 2019 lag Deutschland bei den öffentlichen Entwicklungshilfeausgaben (ODA) im Verhältnis zum BIP auf Platz 4: 0,6 Prozent oder 25 Milliarden US-Dollar. [14]
  • Signalisierung potenzieller handelspolitischer Strafmaßnahmen, die nach Artikel XX GATT zulässig sind, wenn sie sich als notwendig erweisen, um die Rechte von Mensch und Natur zu schützen.
  • Signalisierung möglicher Sanktionen, z.B. mithilfe des Negativlisten-Ansatz nach US-amerikanischem Vorbild, der ausländischen Unternehmen, die nachweislich Fehlverhalten begangen haben, die Teilnahme an deutschen und europäischen Wertschöpfungsketten verbietet. Wie beim Kaskadenprinzip könnte man die Prüfpflichten für inländische Unternehmen auf ausländische Lieferanten übertragen.
  • Die Verpflichtung von Außenhandelspartnern zur Ratifizierung und Umsetzung sozialer und ökologischer Standards, z.B. der ILO-Konventionen, könnte ein wichtiger Bestandteil neuer Handelsabkommen zwischen der EU und Drittstaaten werden. Die Strenge der Forderungen müsste jedoch jeweils individuell und gemeinsam entschieden werden, je nach aktuellem Entwicklungsstand des jeweiligen Partnerlandes („Recht auf Regulierung“). [15]

Anmerkungen

[1] Eucken, W. (1952). Grundsätze der Wirtschaftspolitik. Freiburg.

[2] Kolev G., Neligan A. (2021). Nachhaltigkeit in Lieferketten. IW Köln. URL: https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/policy_papers/PDF/2021/IW-Policy-Paper_2021-Lieferketten-Nachhaltigkeit.pdf

[3] BMZ (2021). Lieferkettengesetz. URL: https://www.bmz.de/de/themen/lieferkettengesetz/index.html

[4] European Parliament (2021). MEPs: Hold companies accountable for harm caused to people and planet. URL: https://www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20210122IPR96215/meps-hold-companies-accountable-for-harm-caused-to-people-and-planet

[5] Gemeinsame Pressemitteilung von BDI, BDA und DIHK anlässlich der Diskussion um ein nationales Lieferkettengesetz (2021). URL: https://bdi.eu/artikel/news/gemeinsame-pm-von-bdi-bda-und-dihk-anlaesslich-der-diskussion-um-ein-nationales-lieferkettengesetz/

[6] OECD (2019). OECD-Leitfaden für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht zur Förderung verantwortungsvoller Lieferketten für Minerale aus Konflikt- und Hochrisikogebieten. URL: https://doi.org/10.1787/3d21faa0-de

[7] IW Köln (2015). Nachhaltigkeit durch Präsenz. Beiträge deutscher Unternehmen zur nachhaltigen Entwicklung an internationalen Standorten. URL: https://www.iwconsult.de/aktuelles/projekte/nachhaltigkeit-durch-praesenz 

[8] IfW Kiel (2021). Lieferketten in der Zeit nach Corona. URL: https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/policy-papers/2021/lieferketten-in-der-zeit-nach-corona-0/

[9] vbw (2021). Pressemitteilung zum Lieferkettengesetz: vbw begrüßt Erleichterungen, hält Gesetz dennoch für überflüssig. URL: https://www.vbw-bayern.de/vbw/PresseCenter/vbw-Pressemitteilung-zum-Lieferkettengesetz-vbw-begr%C3%BC%C3%9Ft-Erleichterungen-h%C3%A4lt-Gesetz-dennoch-f%C3%BCr-%C3%BCberfl%C3%BCssig.jsp

[10] Flach L., Steininger M. (2020). Neustart der Industrie unter dem Einfluss von Covid-19: Wie bereit ist die globale Lieferkette? ifo Institut. URL: https://www.ifo.de/DocDL/sd-2020-07-flach-steininger-corona-globalisierung_0.pdf

[11] Felbermayr G. (2021). Lieferkettengesetz belastet die Falschen, Entschärfung ist sinnvoll. IfW Kiel. URL: https://www.ifw-kiel.de/de/media-pages/news-ext-links/2021/lieferkettengesetz-belastet-die-falschen-entschaerfung-ist-sinnvoll/

[12] Kolev G., Neligan A. (2021).

[13] Langhammer R. (2021). Zum Lieferkettengesetz gibt es bessere Alternativen. IfW Kiel. URL: https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/kiel-focus/2021/zum-lieferkettengesetz-gibt-es-bessere-alternativen-0/

[14] OECD (2021). Net ODA statistics. URL: https://data.oecd.org/oda/net-oda.htm

[15] Artuso M., McLarney C. (2015). A Race to the Top: Should Labour Standards be Included in Trade Agreements? Indian Institute of Management. URL: https://journals.sagepub.com/doi/pdf/10.1177/0256090915573610

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