Gestern Jugoslawien, heute Ukraine: Transatlantische geoökonomische Interessen in Eurasien

_ Jurij Kofner, Ökonom, MIWI Institut. Vortrag auf dem „Serbien-Symposium“ von MdB Dr. Rainer Rothfuß (AfD). Deutscher Bundestag, Berlin, 20. März 2024.

„Eirēnē mētēr Ploutou“ – „Frieden ist die Mutter des Wohlstands“ – lautet eine alte griechische Weisheit. Frieden in Europa sowie entlang der Grenze zwischen Europa und Eurasien war stets die Grundlage für Handel und wirtschaftliches Wachstum in Deutschland. Im höchsten nationalen Interesse Deutschlands liegt es deshalb, diesen Frieden zu wahren. Dennoch haben bestimmte Interessengruppen in den USA ein Interesse daran, Konflikte in diesen geopolitischen Grenzgebieten zu schüren. Ihr dreigliedriges Ziel besteht darin, nicht nur die dort mittelbar betroffenen Völker und Nationen zu schwächen, sondern auch das wirtschaftliche Erstarken eines souveränen Deutschlands und Europas zu verhindern. Zusätzlich streben sie geoökonomische und geopolitische Vorteile für US-amerikanische Interessengruppen an.

Zum einen diese Tatsache aus den allgemein bekannten Arbeiten der anglo-amerikanischen Geostrategen ersichtlich. Dazu gehören die Strategie der Thallasokratie von US-Admiral Alfred Thayer Mahan, die die primäre Bedeutung der Kontrolle der Häfen in Eurasien und der internationalen Seewege betont. Ebenso relevant sind die Herzland-Theorie von Halford Mackinder und das Konzept des „Großen Schachbretts“ von Zbigniew Brzezinski, welche die zentrale Rolle Europas als Brücke für die Dominanz über Eurasien hervorheben. Hinzu kommt Obamas Doktrin des „Leading from behind“, nach der die US-Verbündeten in Europa finanziell und militärisch die Hauptlast sowie den potenziellen „Fallout“ der Verwirklichung der US-amerikanischen außenpolitischen Interessen in Eurasien tragen sollen.[1]

Noch besser kann man dieses Vorgehen auch statistisch und ökonometrisch feststellen. Dafür werden in dem vorliegenden Aufsatz die relevanten wirtschaftlichen Daten anhand der von den USA angeführten NATO-Bombardierung Jugoslawiens im Jahr 1999 und des aktuellen Krieges in der Ukraine analysiert und verglichen werden.

Wirtschaftliche und humanitäre Kosten des Kosovo-Krieges

Die wirtschaftlichen Kosten des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges der NATO in Serbien waren verheerend. Laut der Weltbank ist das serbische Bruttosozialprodukt um 65 Prozent gesunken, was einem Verlust von 18,6 Milliarden Euro in heutigen Preisen entspricht. Ein Beispiel hierfür NATO-Bombardierung von zwei strategischen Brücken über die Donau bei Novi Sad und Pancevo, die dazu führte, dass wichtige Verkehrswege unterbrochen wurden und die Ost-West-Handelsrouten nach Rumänien lahmgelegt wurden.[2] Laut europäischen Beamten wurden die Kosten für den Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur auf einen Wert zwischen 51,3 und 85,5 Mrd. Euro in heutigen Preisen geschätzt, und sogar bis zu 171 Mrd. Euro laut serbischen Beamten.[3]

Nicht nur Serbien, sondern auch die deutsche Volkswirtschaft hat unter den Folgen des Kosovo-Krieges gelitten. Schon damals wurde Migration als Waffe eingesetzt. Die NATO-Bombardierung Serbiens führte zu Flüchtlingsströmen im Millionenbereich, wobei die genaue Zahl je nach Quelle variiert. Laut der Bundesregierung kamen bis zum Ende des Jahres 1999 über 215.000 Flüchtlinge nach Deutschland.[4] Dies verursachte erhebliche Kosten für den deutschen Sozialstaat.

Nach ökonometrischen Modellen der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung hätte das Bruttosozialprodukt Deutschlands fünf Jahre nach Kriegsende (1999-2004) bis zu 7 Prozent höher sein können, wenn die NATO-Bombardierung Serbiens nicht stattgefunden hätte.[5]

Die von den USA geführte NATO-Intervention hat jedoch wirtschaftliche Vorteile für Washington D.C. gebracht. Gemäß Angaben der Weltbank stieg das BIP der USA in den fünf Jahren nach dem Kosovokrieg im Durchschnitt um knapp 4 Prozent pro Jahr, während es in Deutschland lediglich um 1,4 Prozent pro Jahr anstieg (berechnet in konstanten USD im Jahr 2017).[6]

Obwohl die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung keine Schätzungen zu den ökonomischen Auswirkungen des Kosovo-Krieges auf die amerikanische Wirtschaft vorgenommen hat, gibt es aussagekräftige wirtschaftshistorische Proxy dafür, wie die USA von ihrer Beteiligung an Konflikten in Europa profitierten: Dank ihres Eingreifens im Ersten Weltkrieg stieg das BIP pro Kopf der USA fünf Jahre später um bis zu 16 Prozent (1917-1923), verglichen mit dem Szenario ohne Beteiligung. Ebenso führte ihr Eingreifen im Zweiten Weltkrieg dazu, dass das BIP pro Kopf der USA fünf Jahre später um bis zu 18 Prozent höher lag (1941-1946), als es ohne ihre Beteiligung gewesen wäre.

Wirtschaftliche und humanitäre Kosten des Ukraine-Krieges

Auch nach dem Kosovo-Krieg wurde die Massenmigration seitens des transatlantischen Partners gezielt genutzt, um Deutschland zu belasten und zu destabilisieren. Eine Studie des Watson Institute kam zu dem Schluss, dass die US-Militärinterventionen in Afrika und im Nahen Osten zwischen 2001 und 2019 dazu geführt haben, dass über 8 Millionen Flüchtlinge zwangsweise vertrieben wurden (sogar 37 Millionen, wenn man Binnenvertriebene einbezieht).[7] Der Großteil dieser Flüchtlingsströme ging in die Europäische Union, wobei Deutschland das Hauptziel für Asylbewerber war. Während des Zeitraums von 2014 bis 2019 wurden laut Eurostat 40 Prozent aller in der EU gestellten Asylanträge in Deutschland eingereicht.[8]

Daten des IfW Kiel zeigen, dass Deutschland aufgrund des Ukraine-Krieges bis Januar 2024 über 1,1 Millionen ukrainische Flüchtlinge aufgenommen hat.[9] Interessanterweise sind jedoch vergleichsweise viel mehr Ukrainer nach Russland geflohen – im Jahr 2022 waren 5,3 Millionen.[10] Diese Tatsache wird jedoch von transatlantisch dominierten Medien bewusst verschwiegen.

Laut dem IfW Kiel beliefen sich die bisherigen Kosten und Leistungen Deutschlands für die Ukraine von Februar 2022 bis Januar 2024 wie folgt: Finanzielle Aufwendungen betrugen 1,4 Milliarden Euro, humanitäre Hilfeleistungen beliefen sich auf 3 Milliarden Euro, militärische Ausgaben summierten sich auf 17,7 Milliarden Euro und die Kosten für die Unterbringung von ukrainischen Flüchtlingen beliefen sich auf 21,4 Milliarden Euro. Deutschland beteiligte sich zudem mit 19 Milliarden Euro an den EU-Leistungen für Kiew laut offiziellen Angaben (bzw. 43,3 Milliarden Euro nach eigenen Berechnungen). Insgesamt summierten sich die deutschen Kosten und Leistungen auf 62,5 Milliarden Euro (bzw. 86,8 Milliarden Euro nach eigenen Berechnungen). Im Vergleich dazu betrugen die Kosten und Leistungen der USA für die Ukraine nur 68,7 Milliarden Euro. Bezogen auf das BIP zeigt sich vor allem, dass Deutschland die finanzielle Hauptlast für den Ukraine-Krieg trägt: während sie in den USA nur 0,3 Prozent ausmachten, betrugen sie für Deutschland relativ gesehen viel mehr, nämlich zwischen 1,5 und 2,1 Prozent des Bruttosozialproduktes.

Die deutsche Wirtschaft trägt die höchsten Kosten durch die Beteiligung an den transatlantischen Sanktionen. Schon vor dem Ausbruch des heißen Krieges in der Ukraine haben die westlichen Sanktionen deutsche Unternehmen seit 2014 jährlich 5,4 Milliarden Euro (0,16 Prozent des BIP) gekostet, wie eine Studie des ifo Instituts zeigt.[11] Die extraterritorialen Sanktionen des US-Finanzministeriums haben vor allem europäischen Unternehmen geschadet: Gegen sie wurden im vergangenen Jahrzehnt 83 Prozent der Strafen verhängt, gegen amerikanische nur drei Prozent.[12] Seit Februar 2022 haben Brüssel und Washington ihr multilaterales Sanktionsregime deutlich verschärft, worunter Deutschland vor allem durch die Exportverbote und das Energieembargo leidet. Vor allem wegen des EU-Exportverbots für Dual-Use-Technologien sanken die deutschen Warenexporte nach Russland 2022 gegenüber 2021 um zwölf Milliarden Euro (45 Prozent), die Dienstleistungsexporte um 30 Prozent, wie Daten der Bundesbank zeigen.[13]

Obwohl der russische Präsident Wladimir Putin mehrfach angeboten hat, Deutschland über die verbleibende North Stream-Pipeline mit Erdgas zu versorgen,[14] hat sich die transatlantische Bundesregierung entschieden auf wesentlich teureres amerikanisches Flüssiggas umzusteigen, welches laut OMV schon vor dem Ukraine-Krieg rund 50 Prozent teurer war als russisches Pipeline-Erdgas.[15] Dafür haben sich die USA haben am sozio-ökonomischen Leid der deutschen Verbraucher und Produzenten eine goldene Nase verdient. Zwischen 2021 und 2022 stiegen die amerikanischen LNG-Exporte nach Deutschland um das 17-fache. Europaweit konnten die US-Flüssiggasexporteure 23,6 Milliarden Euro zusätzlich verdienen.[16]

Das IW Köln beziffert den Wohlfahrtsverlust Deutschlands durch die Energiekrise auf rund 65 Mrd. Euro im Jahr 2022.[17] Der DIHK schätzt die kombinierten Kosten aus Exportverboten und höheren Energiekosten auf rund 91,4 Mrd. Euro pro Jahr.[18] Dies entspricht einer Verarmung von rund 1.500 bis 2.200 Euro pro Haushalt und Jahr.

Zusammen mit der grünen Klimapolitik hat der seit 2014 laufende Ukraine-Krieg zu einer für die neueste Zeit beispiellosen Abwanderung der Industrie geführt. Laut OECD und IW Köln betrug zwischen 2013 und 2023 der Nettoabfluss von Direktinvestitionen aus Deutschland ins Ausland über 730 Mrd. USD, wovon ein beträchtlicher Anteil, nämlich ein Fünftel bis zur Hälfte, in die USA gingen.[19] Diese Entwicklung wird mithilfe der Ansiedlungsprämien des US Inflation Reduction Act flankiert.

Der Ukraine-Krieg hat deshalb unterschiedliche Auswirkung auf die Konjunkturdynamiken der betroffenen Länder: Während das Bruttosozialprodukt der Ukraine im Durchschnitt der Jahre 2022 um knapp 30 Prozent fiel, verzeichnete Deutschland im Jahr 2023 einen Rückgang um 0,3 Prozent, dafür USA einen Anstieg um knapp 2 Prozent. [20]

Fazit und Ausblick

Die vergleichende Analyse zwischen der Bombardierung Serbiens durch die NATO und dem Krieg in der Ukraine zeigt anhand von Daten, dass Konflikte, die von den USA in Europa und Eurasien geführt, provoziert oder mitgestaltet wurden, nicht nur den direkt betroffenen Ländern, sondern auch dem Verbündeten Deutschland wirtschaftlich geschadet haben, während sie den Interessen der USA ökonomisch zugutekamen.

Aus diesem Grund liegt es im höchsten deutschen nationalen Interesse, sich für Frieden(s)verhandlungen und gute Handelsbeziehungen in Europa und Eurasien einzusetzen. Die beste alternative Option bleibt der Traum von einem gemeinsamen Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok. Laut dem ifo Institut würde eine Freihandelszone zwischen der EU, der Ukraine und der Eurasischen Wirtschaftsunion das Bruttoinlandseinkommen Deutschlands um 0,3 Prozent steigern, insbesondere in den Bereichen Automobilindustrie und Bau. Auch Kiew würde immens profitieren, mit einem prognostizierten Wachstum des BIP um 5 Prozent.[21]

Quellen

[1] Carafano J.J. (2016). Obama’s ‚lead from behind‘ strategy has US in full retreat. Heritage Foundation. URL: https://www.heritage.org/global-politics/commentary/obamas-lead-behind-strategy-has-us-full-retreat

[2] Herbert D., Odell M. (1999). Counting the costs of Kosovo. CNN Money. URL: https://money.cnn.com/1999/04/13/europe/kosovo_economy/

[3] New York Times (1999). Yugoslavia Gives NATO $100 Billion Damage Bill. URL: https://www.nytimes.com/1999/09/29/world/yugoslavia-gives-nato-100-billion-damage-bill.html

[4] Bundesregierung (1999). Migrationsbericht 1999. URL: https://www.efms.uni-bamberg.de/migber99.pdf

[5] Chupilkin M., Koczan Z. (2022). The economic consequences of war: Estimates using synthetic controls. EBRD. URL:

[6] World Bank (2024). GDP (constant 2015 US$) – United States, Germany. URL: https://data.worldbank.org/indicator/NY.GDP.MKTP.KD?end=2004&locations=US-DE&start=1998

[7] Vine D. (2020). Creating Refugees: Displacement Caused by the United States’ Post 9/11 Wars. Brown University. URL: https://shorturl.at/nBQT2

[8] Eurostat (2021). Asylum and first time asylum applicants. URL: https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/migr_asyappctza/default/table?lang=en

[9] Bomprezzi P. et al. (2024). Ukraine Support Tracker. IfW Kiel. URL: https://www.ifw-kiel.de/topics/war-against-ukraine/ukraine-support-tracker/

[10] Izvestia (2023). More than 5.3 million refugees from Ukraine and Donbass arrived in Russia in a year. URL: https://iz.ru/1472836/2023-02-20/bolee-53-mln-bezhentcev-s-ukrainy-i-iz-donbassa-pribyli-v-rossiiu-za-god

[11] Flach L. et al. (2020). Die volkswirtschaftlichen Kosten der Sanktionen in Bezug auf Russland- ifo Institut. URL: https://www.ifo.de/en/project/2020-08-14/economic-costs-existing-sanctions-relation-russia

[12] Timofeev I. et al. (2020). Sanctions Against Russia: A Look Into 2020. RIAC. URL: https://russiancouncil.ru/en/activity/policybriefs/sanctions-against-russia-a-look-into-2020/

[13] Bundesbank (2023). Außenhandel und Dienstleistungen der Bundesrepublik Deutschland mit dem Ausland. URL: https://www.bundesbank.de/de/statistiken/aussenwirtschaft/zahlungsbilanz/aussenhandel-und-dienstleistungen-der-bundesrepublik-deutschland-mit-dem-ausland-615572

[14] Zeit (2023). Putin bietet Gaslieferung durch Nord Stream an. URL: https://www.zeit.de/news/2023-10/05/putin-bietet-gaslieferung-durch-nord-stream-an

[15] TASS (2018). Russian gas is 50% cheaper for Europe than US LNG — OMV CEO. URL: https://tass.com/economy/1015850

[16] ITC (2023). Trade Map. URL: https://www.trademap.org/Country_SelProductCountry_TS.aspx?nvpm=1%7c842%7c%7c%7c%7c2711%7c%7c%7c4%7c1%7c1%7c2%7c2%7c1%7c2%7c1%7c1%7c1

[17] Koenen M. Obst T. (2023). Energiekrise führt zu spürbaren Wohlstandseinbußen in Deutschland. IW Köln. URL: https://www.iwkoeln.de/studien/thomas-obst-energiekrise-fuehrt-zu-spuerbaren-wohlstandseinbussen-in-deutschland.html

[18] REUTERS (2023). Ukraine war expected to cost Germany 160 billion euros by year-end. URL: https://www.reuters.com/world/europe/ukraine-war-expected-cost-germany-160-bln-euros-by-year-end-2023-02-19/

[19] Rusche C. (2024). Deindustrialisierung. Aktuelle Entwicklungen von Direktinvestitionen. IW Köln. URL: https://www.iwkoeln.de/studien/christian-rusche-aktuelle-entwicklungen-von-direktinvestitionen.html

[20] IfW Kiel (2024). Konjunktur. URL: https://www.ifw-kiel.de/de/themendossiers/konjunktur/

[21] Felbermayr G., Steininger M. (2016). Free Trade from Lisbon to Vladivostok. Bertelsmann Stiftung, ifo Institut. URL: https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/NW_Focus_Paper_EU_Eurasia.pdf

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