Keine Verschärfung der Russlandsanktionen zum Schaden der deutschen Wirtschaft

_ Jurij Kofner, Ökonom, MIWI Institut. München, 22. Februar 2022.

Die Deutsche Bundesregierung sollte sich eindeutig gegen eine Verschärfung der EU-Sanktionen gegen Russland positionieren. Eine Verschärfung der Russlandsanktionen wird von der Mehrheit der Bundesbürger nicht befürwortet und würde der heimischen Wirtschaft spürbar schaden.

Die deutschen Sanktionen gegen Russland kosten die deutsche Wirtschaft jährlich 0,16 Prozent ihres BIP (5,5 Mrd. Euro).[1] Das ist 18-mal mehr, als die USA durch Sanktionen gegen Russland zu tragen haben.[2] Europäische Unternehmen zahlen 83 Prozent der Bußgelder für Verstöße gegen extraterritoriale US-Sanktionen, US-Unternehmen nur 3 Prozent.[3] Allein Bayern entgehen jährlich 800 Millionen Euro durch Sanktionen gegen Russland, in Sachsen – 200 Millionen Euro, wie Recherchen des ifo Instituts zeigen.[4]

Als Reaktion auf die Eskalation des Ukraine-Konflikts sind weitere Sanktionen gegen Russland durch die EU und Deutschland im Gespräch. Mögliche Maßnahmen umfassen Sanktionen gegen ausgewählte Entscheidungsträger und Unternehmen bis hin zur Nichtimplementierung von Nord Stream 2, der Kaufverweigerung von russischem Erdgas und der Abschaltung Russlands vom internationalen Zahlungssystem SWIFT.

36 Prozent der gesamten Kohleimporte Deutschlands kamen im Jahr 2020 aus Russland; beim Rohöl lag der Importanteil bei rund 29 Prozent; knapp 40 Prozent seiner Erdgasimporte hat Deutschland aus Russland bezogen.[5]

Laut Studien der TUM und der Stadtwerke München werden ohne Nord Stream 2 die durchschnittlichen Großhandelspreise für Gas in Deutschland bis 2025 um 0,8 Euro pro MWh höher liegen. Schätzungen des ewi Köln zufolge wird die Nichtimplementierung von Nord Stream 2 die deutsche Wirtschaft kosten 6 Milliarden Euro im Jahr 2025.

Die Weigerung, russisches Gas zu kaufen, würde nicht nur die bereits explodierenden Energiepreise in Deutschland weiter in die Höhe schnellen lassen, sondern auch zu einer ernsthaft drohenden Gasknappheit führen, die Brown- und sogar Blackouts zur Folge haben könnten. Aktuell liegt der Füllstand der deutschen Gasspeicher auf einem historischen Tiefstand von 31 Prozent.[6] Laut BMWi müssten mindestens 60 Prozent vorhanden sein, um ein einmonatiges Gaslieferembargo aus Russland zu ertragen.[7]

Russland von SWIFT abzuschotten, würde der russischen Wirtschaft schaden, ist aber erträglich, da es bereits über eine eigene Zahlungssystemalternative (in Zusammenarbeit mit China) verfügt. Im Gegenteil, die Auswirkungen wären für Deutschland und Bayern gravierend, da die Möglichkeit deutscher Gasimporteure, russische Gaslieferungen zu bezahlen, erheblich beeinträchtigt würde.[8]

Die Mehrheit der Deutschen ist dazu nicht bereit „für die Sicherheit der Ukraine einen hohen wirtschaftlichen Preis zu zahlen“,[9] – entgegen der Behauptung von Außenministerin Baerbock (Grüne), welche laut Civey-Umfrage über 60 Prozent der Deutschen für keine gute Krisenmanagerin halten.[10]

Nach einer jüngsten Forsa-Umfrage sprechen sich 85 Prozent der Bundesbürger dafür aus, dass die europäischen Staaten eine von den USA eigenständige Außenpolitik betreiben sollten, bei der auch russische Interessen berücksichtigt werden.[11] 65 Prozent der Befragten sind nicht für eine Verschärfung der Sanktionen, über die Hälfte (52 Prozent) ist klar dagegen. Von allen Parteien spricht sich nur die Mehrheit der Grünen-Wähler für härtere Sanktionen aus. Weniger als die Hälfte der Deutschen gibt Russland die Schuld an der Ukraine-Krise.[12] Drei Viertel der Deutschen sind unzufrieden mit der aktuellen Ukraine-Politik der Bundesregierung gegenüber Russland.[13] Fast 56 Prozent der Bundesbürger sagen, dass die Bundesregierung keine Waffen an Kiew liefern sollte.[14]

Auch der Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft, dem namhafte deutsche Konzerne wie BMW, Siemens, BASF, Volkswagen und Allianz angehören, warnt vor einer weiteren Eskalation der Sanktionsspirale und fordert eine friedliche diplomatische Lösung des Ukraine-Konflikts.[15]

[1] Flach L., Larch M., Yotov Y., et al. (2020). Die volkswirtschaftlichen Kosten der Sanktionen in Bezug auf Russland. ifo Institut. URL: https://www.duesseldorf.ihk.de/blueprint/servlet/resource/blob/4978912/5ed8077229fa36561337b443b82a386c/m31-rf-ifo-studie-kosten-russland-sanktionen-data.pdf

[2] Chowdry S., Felbermayr G., et. al. (2020). The Economic Costs of War by Other Means. IfW Kiel. URL: https://www.ifw-kiel.de/publications/kiel-policy-briefs/2020/the-economic-costs-of-war-by-other-means-15301/

[3] Timoveef I. (2020). The European paradox: US sanctions policy on EU businesses. MGIMO University. URL: https://russiancouncil.ru/analytics-and-comments/analytics/evropeyskiy-paradoks-politika-sanktsiy-ssha-v-otnoshenii-biznesa-stran-es/

[4] Flach L., Larch M., Yotov Y., et al. (2020).

[5] Beer S. (2022). Ukraine-Krise: Belastete Handelsbeziehungen zwischen Russland und Deutschland. IW Köln. URL: https://www.iwkoeln.de/studien/sonja-beer-belastete-handelsbeziehungen-zwischen-russland-und-deutschland.html

[6] AGSI (2022). URL: https://agsi.gie.eu/#/

[7]  BMWi (2015). Möglichkeiten zur Verbesserung der Gasversorgungsicherheit und der Krisenvorsorge durch Regelungen der Speicher. URL: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Studien/moeglichkeiten-zur-verbesserung-der-gasversorgungsicherheit-und-der-krisenvorsorge-durch-regelungen-der-speicher.html

[8] Astrov V. et al. (2022). Possible Russian Invasion of Ukraine, Scenarios for Sanctions, and Likely Economic Impact on Russia, Ukraine, and the EU. wiiw. URL: https://wiiw.ac.at/possible-russian-invasion-of-ukraine-scenarios-for-sanctions-and-likely-economic-impact-on-russia-ukraine-and-the-eu-p-6044.html

[9] Baerbock A. (2022). Wir sind bereit, für die Sicherheit der Ukraine einen hohen wirtschaftlichen Preis zu zahlen. Welt. URL: https://www.welt.de/politik/ausland/article236741569/Baerbock-Sind-bereit-fuer-Sicherheit-der-Ukraine-hohen-wirtschaftlichen-Preis-zu-zahlen.html

[10] Civey (2022). Wird Annalena Baerbock (Grüne) Ihrer Einschätzung nach als Außenministerin eine gute Krisenmanagerin sein? URL: https://civey.com/umfragen/19748/wird-annalena-baerbock-grune-ihrer-einschatzung-nach-als-aussenministerin-eine-gute-krisenmanagerin-sein

[11] Emendörfer J. (2022). Wie unterschiedlich die Deutschen in Ost und West auf den Ukraine-Konflikt blicken. RND. URL: https://www.rnd.de/politik/forsa-umfrage-zum-ukraine-konflikt-unterschiede-zwischen-deutschen-aus-ost-und-west-EQOMTPQABJECZIPKTNIMW55QYY.html

[12] Akkoyun N. (2022). Forsa-Umfrage. Ukraine-Krise. HNA. URL: https://www.hna.de/politik/ukraine-russland-sanktionen-nato-deutschland-regierung-gas-energie-nord-stream-2-umfrage-91266101.html

[13] NTV (2022). Mehrheit ist unzufrieden mit deutscher Ukraine-Politik. URL: https://www.n-tv.de/politik/Mehrheit-ist-unzufrieden-mit-deutscher-Ukraine-Politik-article23097487.html

[14] Civey (2022). Sollte die Bundesregierung Lieferungen von sogenannten Defensivwaffen an die Ukraine erlauben?. URL: https://civey.com/umfragen/14953/sollte-die-bundesregierung-lieferungen-von-sogenannten-defensivwaffen-an-die-ukraine-erlauben

[15] Hermes O. (2022). Eskalationsdynamik durchbrechen. Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. URL: https://www.ost-ausschuss.de/de/eskalationsdynamik-durchbrechen

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