Ökonomische Auswirkungen der im Ampel-Koalitionsvertrag skizzierten Außenhandelspolitik

_ Jurij Kofner, Ökonom, MIWI Institut für Marktintegration und Wirtschaftspolitik. München, 31. Januar 2022.

Wie in den anderen Bereichen will die Koalitionsregierung die Außenwirtschaftsbeziehungen der Republik nach strengeren ökologischen und sozialen Nachhaltigkeitskriterien neugestalten und sich an der EU-Forderung für mehr Technologieautonomie beteiligen, was de facto den historisch erfolgreichen Freihandelsansatz Deutschlands mit einem neuen „Klimaprotektionismus“ ersetzen wird. Beispiele sind der CO2-Grenzausglauch, eine Überarbeitung bestehender und geplanter Präferenzhandelsabkommen, ein neuer Investitions-Screening-Mechanismus und die Lieferkettengesetze auf Bundes- und EU-Ebene.

Die Koalitionsregierung unterstützt die Einführung des Carbon Border Adjustment Mechanismus (CBAM) auf EU-Ebene, eines komplizierten und bürokratischen Importzolls, der auf ausländische Einfuhren in die EU basierend auf deren durchschnittlichen „CO2-Gehalt“ erhoben wird. Laut einem umfassenden Forschungsbericht der Europäischen Kommission wird das CBAM die deutsche Wirtschaft jährlich rund 7,7 Milliarden Euro kosten (0,2 Prozent des BIP oder 93 Euro pro Bürger).[1]

Die Einführung eines EU-Screening-Mechanismus, der Direktinvestitionen in strategische europäische Sektoren aus dem Ausland, v.a. aus China, überprüfen und auch verbieten würde, wenn diese mithilfe ausländischer staatlicher Beihilfen ermöglicht wurden oder die europäischen Sicherheitsinteressen verletzen, wird höchst wahrscheinlich Vergeltungstarife auslösen, zumal sowohl Deutschland als auch die EU zunehmend selbst auf staatliche Subventionen und eine dirigistische Industriepolitik setzen.[2]

Weit davon entfernt, Menschenrechte, Arbeitsbedingungen und ökologische Standards in den Entwicklungsländern zu verbessern, wird die Lieferkettengesetzgebung sowohl der deutschen Wirtschaft als auch den Lieferländern schaden. Einerseits wird es die bereits jetzt sehr angespannten Wertschöpfungsketten deutscher Unternehmen erheblich beeinträchtigen und die Kosten für Rohstoffe und Vorprodukte noch weiter erhöhen. Im schlimmsten Fall könnten bis zu 7 Prozent der deutschen Einfuhren mit einem Gesamtwert von 77,3 Mrd. Euro (2,3 Prozent des BIP oder 931 Euro pro Einwohner) betroffen sein, denn diese stammen aus Staaten, die nach Einschätzung des Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB) „kritische bis katastrophale Arbeitsbedingungen“ vorweisen.[6] Andererseits werden sich die betroffenen deutschen Unternehmen aus diesen Lieferländern zurückziehen müssen, was die dortigen Arbeitnehmer (einschließlich Kinder) in noch schlechtere Arbeitsbedingungen des informellen Sektors drängen wird; sowie deren Bruttosozialprodukt, wie, z.B., das von Kambodscha, Vietnam und Malaysia, um bis zu 1 Prozent reduzieren wird.[3]

Die Koalitionspartner sehen derzeit keine Möglichkeit, weitere Verhandlungen zum EU-China-Investitionsabkommen zu unterstützen, welches ansonsten das deutsche BIP um 0,02 Prozent steigern würde.[4] Dafür unterstützen sie den Abschluss von Freihandelsabkommen zwischen der EU mit MERCOSUR, der Afrikanischen Union und erwägen sogar die Umsetzung einer überarbeiteten Handels- und Wirtschaftspartnerschaft mit den USA („TTIP 2.0“). Im Ergebnis könnten diese Abkommen das BIP der Bundesrepublik um 0,1, 0,4 bzw. 3,1 Prozent steigern, also kumulativ um 3,6 Prozent (ca. 120 Mrd. Euro im Jahr), was jeden Deutschen um die 1450 Euro wohlhabender machen würde.[5] Da die Freihandelsbeziehungen jedoch strengeren ökologischen, menschenrechtlichen und arbeitsrechtlichen Standards unterworfen wären, dürften die positiven Auswirkungen geringer ausfallen.

Die Bundesregierung setzt auf eine dirigistische Industrie- und Außenhandelspolitik nicht nur zum Zweck des Klimaschutzes, sondern auch mit dem pragmatischen Kalkül, Deutschland zum Marktführer und Exportweltmeister in grünen Leitmärkten zu machen. Diese Hoffnung beruht auf dem enormen Marktpotential (Volumen) dieser Branchen und den derzeit relativ aussichtsreichen Marktanteilen deutscher Unternehmen in diesem Bereich.[7],[8] Doch bis jetzt und trotz bereits erheblicher staatlicher Unterstützung, um Deutschland zum Marktführer grüner Technologien zu machen, scheinen diese Pläne nicht aufzugehen. Zwischen 2010 und 2019 sind die Exporte aus Deutschland im Vergleich zu Exporten aus China dieser Gütergruppen entweder ins Stocken geraten oder sogar gesunken: Solarmodule (minus 71 vs. minus 6 Prozent), Wechselrichter (plus 14 vs. plus 43 Prozent), Windkraftanlagen (plus 10 vs. plus 860 Prozent!), Elektrolyseure (50 Prozent Abnahme vs. 42 Prozent Zunahme!).[9]

Die Freihandelsinitiativen der EU, die die Koalitionsregierung unterstützen wird, werden der deutschen Wirtschaft jährlich 120 Milliarden Euro bringen (3,6 Prozent des BIP), was jeden Bürger um 1450 Euro pro Jahr reicher machen wird. Protektionistische Maßnahmen wie der CO2-Grenzausgleichsmechanismus, die Lieferkettengesetze und der Investitionsprüfungsmechanismus werden diesen Wohlfahrtsgewinn jedoch jährlich um 85 Milliarden Euro (2,5 Prozent des BIP) schmälern und jeden Deutschen jährlich über 1000 Euro kosten.

Quellenangaben:

[1] European Commission (2021). Proposal for a regulation of the European Parliament and of the Council establishing a carbon border adjustment mechanism. URL: https://ec.europa.eu/info/sites/default/files/carbon_border_adjustment_mechanism_0.pdf

[2] Kofner Y. (2020). EU’s new anti-foreign-subsidies tool likely to invoke new wave of protectionism. MIWI Institute. URL: https://miwi-institut.de/archives/502

[3] Kolev G., Neligan A. (2021). Nachhaltigkeit in Lieferketten. IW Köln. URL: https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/policy_papers/PDF/2021/IW-Policy-Paper_2021-Lieferketten-Nachhaltigkeit.pdf

[4] European Commission (2013). Impact assessment report on the EU-China investment relations. URL: https://ec.europa.eu/smart-regulation/impact/ia_carried_out/docs/ia_2013/swd_2013_0185_en.pdf

[5] Eigene Berechnungen basierend auf: Kofner Y. (2020). Benefits for Germany of a post-COVID EU region-to-region free trade initiative. MIWI Institute. URL: https://miwi-institut.de/archives/779

[6] Felbermayr G. et al. (2021). Chancen und Risiken eines Sorgfaltspflichtengesetzes. IfW Kiel. URL: https://www.ifw-kiel.de/de/experten/ifw/gabriel-felbermayr/chancen-und-risiken-eines-sorgfaltspflichtengesetzes-16604/

[7] Römer D. et al. (2021). Die Zukunft ist grün – welche Chancen bieten sich der deutschen Wirtschaft? KfW Research. URL: https://www.kfw.de/PDF/Download-Center/Konzernthemen/Research/PDF-Dokumente-Fokus-Volkswirtschaft/Fokus-2021/Fokus-Nr.-355-November-2021-Die-Zukunft-ist-gruen.pdf

[8] Schaefer T., Matthes J. (2021). Weltweiter Klimaschutz bringt neue Absatzchancen auch für deutsche Hersteller. IW Köln. URL: https://www.iwkoeln.de/studien/thilo-schaefer-juergen-matthes-weltweiter-klimaschutz-bringt-neue-absatzchancen-auch-fuer-deutsche-hersteller-518639.html

[9] Matthes J., Schaefer T. (2021). Exportperformance von Gütern zur Herstellung erneuerbarer Energien enttäuscht. IW Köln. URL: https://www.iwkoeln.de/presse/pressemitteilungen/juergen-matthes-thilo-schaefer-deutsche-exporte-fallen-zurueck.html

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