Ökonomische Auswirkungen der im Ampel-Koalitionsvertrag skizzierten Industriepolitik

_ Jurij Kofner, Ökonom, MIWI Institut für Marktintegration und Wirtschaftspolitik. München, 22. Januar 2022.

Die Dekarbonisierung der deutschen Wirtschaft und die Transformation der heimischen Industrie hin zur Klimaneutralität sind das erklärte Ziel des Koalitionsvertrags der Ampelregierung, dessen Erreichung durch umfangreiche staatliche Beihilfen unterstützt werden soll.

Der Koalitionsvertrag sieht sogenannte Carbon Contracts for Difference (CCfD) als wesentliches Mittel zur Finanzierung der kostspieligen Umrüstung industrieller Produktionskapazitäten vor. Mit diesem Förderinstrument garantiert der Staat Planungssicherheit für Investitionen in „klimafreundliche“ Produktionsprozesse, indem er die Differenz zwischen den Vermeidungskosten der Unternehmen und dem aktuellen CO2-Zertifikatspreis begleicht.[1]

Für eine Abschätzung der Gesamtkosten dieser Fördermaßnahme ist es derzeit noch zu früh. Allerdings schätzt die Prognos AG im Auftrag der KfW-Förderbank die durchschnittlichen jährlichen Investitionen, die für die Dekarbonisierung des deutschen Industriekomplexes zur Erreichung des Klimaneutralitäts-Benchmarks in 2045 als notwendig erachtet werden, auf rund 20,7 Mrd. Euro jährlich, was 0,6 Prozent des BIP oder 250 Euro pro Kopf entspricht.[2]

Und ohnehin nimmt die staatliche KfW-Förderbank in den Plänen der rot-grün-gelben Koalitionsregierung eine Sonderrolle ein. Sie wollen die Förderbank als „Investitions- und Innovationsagentur“ nutzen, um Projekte der Dekarbonisierung, Digitalisierung und Infrastruktur zu finanzieren. Denn die KfW kann neue Schulden am internationalen Finanzmarkt aufnehmen (dank Garantien des Bundes zum Nulltarif), ohne dass diese zur Staatsverschuldung hinzugerechnet und damit als Verstoß gegen die verfassungsmäßige Schuldenbremse gewertet werden. Es ist möglich, dass die o.g. 60 Milliarden Euro, die das neue Finanzministerium aus der Corona-Verschuldung für den Klima- und Innovationsfonds umgewidmet hat, als Bundesgarantien für die KfW verwendet werden. Während den Sondierungsgesprächen war die Rede noch von 50 Mrd. Euro für zusätzliche Klimaschutz-Investitionen über die KfW.[3] Dies entspräche staatlichen Investitionen von jährlich 15 bis 12,5 Mrd. Euro (0,4 Prozent des BIP oder 151 Euro pro Kopf). Das Wirtschaftsforschungsinstitut IW Köln beziffert die notwendige jährliche Summe für Dekarbonisierung, Digitalisierung und F&E eines solchen staatlichen Investmentfonds auf eine ähnliche Summe von rund 12 Mrd. Euro.[4] Laut einer anderen IW-Studie würde diese Erhöhung der investiven Staatsausgaben das Bruttoinlandsprodukt um knapp 0,3 Prozent (8,8 Mrd. Euro oder 105 Euro pro Einwohner) steigern.[5]

Als Unterstützungsinstrumente für Investitionen kann die Förderbank entweder Bürgschaften für Kredite von Privatbanken oder auch stille Beteiligungen am Unternehmerkapital übernehmen. Wie der Ökonom Lars P. Feld richtig warnt, würde insbesondere der zweite Ansatz einen beunruhigenden Prozess der schleichenden Verstaatlichung der deutschen Industrie und Wirtschaft mit sich bringen.[6]

Die Koalitionsregierung beabsichtigt eine größere Rolle in der Wirtschaft für Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund. Anstatt jedoch bessere Bildungsangebote nach dem ordoliberalen Prinzip der „Chancengleichheit“ anzubieten, hält die grün-linke Regierung klar am sozialistischen Konzept der „Ergebnisgleichheit“ fest, was sich an Vorschlägen zeigt, wie, z.B. für diese Bevölkerungsgruppen die Zugangsbarrieren für Wagniskapital herabzusetzen oder eine paritätische Rolle im oben genannten staatlichen Investmentfonds. Empirische Beobachtungen zeigen jedoch, haben solche Quotenansätze der „positiven“ Diskriminierung meistens den gegenteiligen Effekt erwirken.[7]

Die Ampelregierung bekennt sich klar zu einer dirigistischen Industriepolitik, indem sie selbst Schlüsseltechnologien und Zukunftsmärkte definiert, Quoten für den sektoralen CO2-Austoß und das öffentliche Beschaffungswesen festlegt, Subventionen gewährt und als „schmutzig“ geltende Technologien verbietet. Insbesondere definiert die Koalition drei solcher Leitmärkte – Wasserstoff, Halbleiter und Elektromobilität.

So soll bis 2030 eine nationale Wasserstoffindustrie mit einer Elektrolysekapazität von 10 GW entstehen. Die staatliche Förderung von Wasserstofftechnologien und -infrastruktur wird sich auf jährlich rund 1 Mrd. Euro (12 Euro pro Person) belaufen.[8],[9]

Des Weiteren soll Deutschland Teil eines europaweiten Halbleiter- und Mikroprozessor-Hubs werden, um es von asiatischen Lieferketten unabhängiger zu machen. Im Rahmen dieser Aufgabe sind die jährlichen Fördermittel für diesen Technologiezweig derzeit auf 0,4 Mrd. Euro (5 Euro pro Person) festgelegt.[10],[11]

Die Bundesregierung befürwortet diese planerische Industriepolitik nicht nur zum Zweck des Klimaschutzes, sondern auch mit dem pragmatischen Kalkül, Deutschland zum Marktführer und Exportweltmeister in grünen Leitmärkten zu machen. Diese Hoffnung beruht auf dem enormen Marktpotential (Volumen) dieser Branchen und den derzeit relativ aussichtsreichen Marktanteilen deutscher Unternehmen in diesem Bereich.[12],[13] Doch bis jetzt und trotz bereits erheblicher staatlicher Unterstützung, um Deutschland zum Marktführer grüner Technologien zu machen, scheinen diese Pläne nicht aufzugehen. Zwischen 2010 und 2019 sind die Exporte aus Deutschland im Vergleich zu Exporten aus China dieser Gütergruppen entweder ins Stocken geraten oder sogar gesunken: Solarmodule (minus 71 vs. minus 6 Prozent), Wechselrichter (plus 14 vs. plus 43 Prozent), Windkraftanlagen (plus 10 vs. plus 860 Prozent!), Elektrolyseure (50 Prozent Abnahme vs. 42 Prozent Zunahme!).[14]

Um die Klimaziele im Verkehrssektor zu erreichen, will die Koalitionsregierung Deutschlands wichtigstes und innovativstes Verarbeitendes Gewerbe in Richtung Elektromobilität transformieren – die Automobilindustrie, welche 830.000 Menschen direkt beschäftigt und 4,7 Prozent des nationalen BIP erwirtschaftet.[15]  Als Maßstab hierfür legt der Koalitionsvertrag eine Quote von 15 Mio. vollelektrischen Pkw bis 2030 fest, was eine Verdreißigfachung von derzeit 0,5 Mio. BEV bedeuten würde, die im Oktober 2021 auf deutschen Straßen unterwegs waren.[16]

Auch hier hofft man, abgesehen vom avisierten Klimaschutzziel, mit diesem massiven Eingriff die deutsche Automobilindustrie auf dem angedachten Zukunftsmarkt der Batterieherstellung und E-Mobilität führend zu machen. In der Tat stehen die Chancen der Bundesrepublik in diesem Bereich besser als bei anderen grünen Technologien. Dennoch gibt es keine Erfolgsgarantie: So hat sich, z.B., zwischen 2009 und 2019 der Umsatz von deutschen Batterieexporten ebenso verdreifacht wie der von chinesischen. Allerdings stieg der Weltmarktanteil der Volksrepublik in dieser Produktgruppe von 24 auf 29 Prozent, der von der BRD nur von 6 auf 7 Prozent.[17] Allerdings schätzt das ifo Institut, dass die Umstellung auf E-Mobilität in der deutschen Automobilindustrie bis 2030 zu einem Nettoarbeitsplatzverlust von über 385.000 deutschen Beschäftigten führen wird.[18]

Um den Carbon-Leakage-Druck für große energieintensive Industriezweige zu reduzieren, unterstützt die Ampelregierung nicht nur den EU-CO2-Grenzausgleich, sondern erwägt auch die Subventionierung eines Industriestrompreises. Angesetzt auf dem durchschnittlichen EU-Preisniveau für industrielle Großverbraucher betrüge die durchschnittliche jährliche Fördersumme 11,6 Mrd. Euro (0,3 Prozent des BIP) oder 140 Euro pro Kopf.[19]

Im Gegensatz zum gesamtplanwirtschaftlich-interventionistischen Ansatz ist der unter FDP-Einfluss stehende Vorschlag, Sonderwirtschaftszonen (SWZ) und Reallabore zu ermöglichen, eine erfreuliche und begrüßenswerte Überraschung im Koalitionsvertrag.

Viele etablierte deutsche Ökonomen, insbesondere solche, die zum grün-linken Spektrum tendieren, aber nicht ausschließlich, sehen Klimaschutzinvestitionen positiv und argumentieren, dass sie Leitmärkte schaffen, in denen deutsche Unternehmen einen Wettbewerbsvorsprung haben werden und somit zukünftiges Wirtschaftswachstum sichern. Andere, überwiegend liberale Ökonomen, wie Stefan Kooths, Co-Präsident des IfW Kiel, sind skeptischer und argumentieren, dass die öffentlichen Subventionen für Dekarbonisierung oder den Aufbau von staatlich ausgewählter Leitindustrien nur eine Form verzerrender Interventionspolitik sind, die eher einen substitutiven als einen multiplikativen Charakter haben.[20] Tatsächlich könnte der Staat durch finanz- und ordnungspolitische Fokussierung auf ausgewählte Technologien und Ansätze wachstumshemmend agieren, da er damit Ressourcen entzieht, die private Unternehmer in einer alternativen wettbewerbs- und technologieoffeneren Marktordnung in ungeahnte andere und potenziell viel erfolgreichere Innovationen investiert hätten, z.B., im Bereich der synthetischen Kraftstoffe und Klimaanpassung.

Die vorliegende Analyse folgt der zweiten Interpretation, bei der sowohl die Belastungen als auch die Subventionen als negative volkswirtschaftliche Effekte der im Koalitionsvertrag beschrieben Industriepolitik zusammengefasst werden. Demnach wird die Industriepolitik der Ampel (inkl. staatlicher Kaufprämie für das E-Auto) die deutsche Wirtschaft jährlich 48 Mrd. Euro kosten. Umgerechnet sind das 1 Prozent des BIP oder 582 Euro pro Kopf und Jahr.

Quellen:

[1] Richstein J., Neuhoff K. (2019). CO2-Differenzverträge für innovative Klimalösungen in der Industrie. DIW. URL: https://www.diw.de/de/diw_01.c.679530.de/publikationen/diw_aktuell/2019_0023/co2-differenzvertraege_fuer_innovative_klimaloesungen_in_der_industrie.html

[2] Prognos AG. (2021). Beitrag von Green Finance zum Erreichen von Klimaneutralität in Deutschland. KfW. URL: https://www.kfw.de/PDF/Download-Center/Konzernthemen/Research/PDF-Dokumente-Studien-und-Materialien/Green-Finance-und-Klimaneutralitaet.pdf

[3] Marschall B. (2021). Wie die Staatsbank KfW für die Ampel das Klima retten soll. RP Online. URL: https://rp-online.de/wirtschaft/finanzen/koalitionsverhandlungen-der-ampel-staatsbank-kfw-als-klima-retterin_aid-63648807

[4] Beznoska M., Kauder B., Obst T. (2021). Investitionen, Humankapital und Wachstumswirkungen öffentlicher Ausgaben. IW Köln. URL: https://www.iwkoeln.de/studien/iw-policy-papers/beitrag/martin-beznoska-bjoern-kauder-thomas-obst-investitionen-humankapital-und-wachstumswirkungen-oeffentlicher-ausgaben.html

[5] Eigene Berechnungen basierend auf: Hüther M., Kolev G. (2019). Investitionsfonds für Deutschland. IW Köln. URL: https://www.iwkoeln.de/studien/michael-huether-galina-kolev-investitionsfonds-fuer-deutschland.html

[6] Feld L.P. (2021). Ein KfW-Transformationsfonds wäre ein Fehler. Handelsblatt. URL: https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/interview-ein-kfw-transformationsfonds-waere-ein-fehler-oekonom-lars-feld-kritisiert-finanzierungsplaene-der-ampel/27735558.html

[7] Kofner Y. (2021). Women’s quotas are counterproductive and morally wrong. MIWI Institute. URL: https://miwi-institut.de/archives/964

[8] Prognos AG. (2021). | Brand S. et al. (2021). 5 Bio. EUR klimafreundlich investieren – eine leistbare Herausforderung. KfW Research. URL: https://www.kfw.de/PDF/Download-Center/Konzernthemen/Research/PDF-Dokumente-Fokus-Volkswirtschaft/Fokus-2021/Fokus-Nr.-350-Oktober-2021-Investitionsbedarfe-Klimaneutralitaet.pdf

[9] Hydrogen Europe (2020). Geplante Investitionen in grünen Wasserstoff und Elektrolysekapazitäten in Europa nach Ländern bis zum Jahr 2030. URL: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1194888/umfrage/geplante-investitionen-in-gruenen-wasserstoff-in-europa-nach-laendern/

[10] Laaser C.F., Rosenschon A. (2020). Kieler Subventionsbericht 2020: Subventionen auf dem Vormarsch. IfW Kiel.  Die Schätzungen sind ohne das fiskalische Corona-Konjunkturpaket. URL: https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/kieler-beitraege-zur-wirtschaftspolitik/kieler-subventionsbericht-2020-subventionen-auf-dem-vormarsch-0/

[11] Laaser C.F, Rosenschon A., Schrader K. (2021). Kieler Subventionsbericht: Die Finanzhilfen des Bundes in Zeiten der Coronakrise. IfW Kiel. URL: https://miwi-institut.de/archives/1417

[12] Römer D. et al. (2021). Die Zukunft ist grün – welche Chancen bieten sich der deutschen Wirtschaft? KfW Research. URL: https://www.kfw.de/PDF/Download-Center/Konzernthemen/Research/PDF-Dokumente-Fokus-Volkswirtschaft/Fokus-2021/Fokus-Nr.-355-November-2021-Die-Zukunft-ist-gruen.pdf

[13] Schaefer T., Matthes J. (2021). Weltweiter Klimaschutz bringt neue Absatzchancen auch für deutsche Hersteller. IW Köln. URL: https://www.iwkoeln.de/studien/thilo-schaefer-juergen-matthes-weltweiter-klimaschutz-bringt-neue-absatzchancen-auch-fuer-deutsche-hersteller-518639.html

[14] Matthes J., Schaefer T. (2021). Exportperformance von Gütern zur Herstellung erneuerbarer Energien enttäuscht. IW Köln. URL: https://www.iwkoeln.de/presse/pressemitteilungen/juergen-matthes-thilo-schaefer-deutsche-exporte-fallen-zurueck.html

[15] Puls T. (2021). Strukturwandel in der Automobilindustrie – wirkt die Pandemie als Beschleuniger? IW Köln- URL: https://www.ifo.de/publikationen/2021/aufsatz-zeitschrift/strukturwandel-der-automobilindustrie-wirkt-die-pandemie-als

[16] KBA (2021). Anzahl der Elektroautos in Deutschland von 2011 bis 2021. URL: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/265995/umfrage/anzahl-der-elektroautos-in-deutschland/

[17] OEC (2021). Share of Exports in Electric Batteries. URL: https://oec.world/en/profile/hs92/electric-batteries?cumulativeMarketShareSelected=share&growthSelector=value1#market-concentration

[18] Falck O., Czernich, N., Koenen J. (2021). Auswirkungen der vermehrten Produktion elektrisch betriebener Pkw auf die Beschäftigung in Deutschland. ifo Institut. URL: https://www.ifo.de/publikationen/2021/monographie-autorenschaft/auswirkungen-der-vermehrten-produktion-elektrisch

[19] Eigene Berechnungen basierend auf: BDEW (2020). Energiemarkt Deutschland 2020. URL: https://www.bdew.de/media/documents/BDEW_Energiemarkt_Deutschland_2020.pdf | ewi (2021). | BMWi, Eurostat (2021). Electricity prices for industries in the European Union in 2020, by country. URL: https://www.statista.com/statistics/1046605/industry-electricity-prices-european-union-country/

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