Plastik-Recycling reformieren – mit einem internationalen Kunststoff-Zertifikate-Handel

_ Jurij Kofner, Ökonom, MIWI Institut für Marktintegration und Wirtschaftspolitik. München, 21. Juli 2021.

Internalisierung negativer Externalitäten

Umweltschutz ist eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, die mit sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlichen Interessen vereinbar sein muss. Die Kreislaufwirtschaft und das Recycling von Kunststoffen sind ein wesentlicher Bestandteil dieser Aufgabe. Im Jahr 2019 produzierte Deutschland 6,3 Mio. Tonnen Plastikmüll, das entspricht 76 kg pro Person.[1] Weltweit landen mindestens 8 Mio. Tonnen Plastik jedes Jahr in unseren Ozeanen und machen 80 Prozent aller Meeresabfälle aus.[2]

Um Plastikmüll zu reduzieren, hat die Bundesregierung 2019 das Verpackungsgesetz eingeführt, wonach bis 2022 mindestens 63 Prozent der Kunststoffe für Verpackungen recycelt werden müssen. Aktuell liegt der Pflichtquote bei 36 Prozent.[3]

Außerdem hat die EU im Jahr 2021 die „National Plastic Contribution“ (die s.g. „EU-Kunststoffsteuer“) eingeführt, nach der die EU-Mitgliedstaaten 80 Cent pro Tonne auf ihrem Hoheitsgebiet anfallenden Verpackungsmüll aus Kunststoff, der nicht recycelt wird, zahlen müssen. Diese Maßnahme wurde jedoch vor allem als neue Einnahmequelle zur Finanzierung des EU-Haushalts eingeführt – sie kostet Deutschland jährlich 1,3 Mrd. Euro – und wirkt sich nur indirekt auf die Reduzierung von Plastikmüll aus, da Reduzierungsquoten in der EU bereits verbindlich sind.[4]

Auch im Vergleich zu Maßnahmen zur Reduzierung der CO2-Emissionen sind die negativen externen Effekte von Kunststoffabfällen viel eindeutiger identifizierbar und damit auch effektiver bepreisbar.[5]

Das Grüne Paradox gilt auch für Recycling

Aber auch hier, wie bei der CO2-Bepreisung, greift das „Grüne Paradox“ des Ökonomen H.W. Sinn.[6] Nationale und europäische Alleingänge zur Reduzierung der Nachfrage nach neu produzierten Kunststoffen werden nur das Gegenteil bewirken:

Erstens wird eine regional begrenzte Reduzierung der Nachfrage nach neu produzierten Kunststoffen – Polypropylen, Polyethylen und PET, aber auch das Vorprodukt Rohöl – diese auf dem Weltmarkt nur billiger machen (ceteris paribus). Als Resultat kann und wird das ausländische Verarbeitende Gewerbe mehr davon konsumieren.

Zweitens wird die Plastik-Verarbeitung in Deutschland und Europa durch eine EU-Besteuerung von Plastikmüll (80 Euro Cent pro Tonne ab 2021) indirekt bzw. eine nationale Recyclingquote (63 Prozent ab 2022) direkt verteuert, was letztendlich nur zu einer Abwanderung der kunststoffverarbeitenden Industrie in günstigere Regionen führen wird. Billigere im Ausland aus Rohöl neu hergestellte Kunststoffe werden somit auch im Inland hergestellte oder recycelte Kunststoffe ersetzen. Dieses Phänomen kann als “Plastikleckage” bezeichnet werden – in Anlehnung an das s.g. „Carbon Leakage“.

Bedingt durch die relativ günstig mit neuem Rohöl hergestellten Kunststoffe, operiert das deutsche Pfandsystem mit einer gefährlich sinkenden Gewinnspanne.[7] Eine Tonne recyceltes PET-Granulat kostet knapp über 900 Euro, neu produziertes Granulat aus Öl hingegen nur 680 Euro. Deshalb betrug der Anteil an Kunststoff-Rezyklaten in Deutschland produzierten Kunststoffprodukten im Jahr 2019 nur 7 Prozent.[8]

Um das Problem des Kunststoffrecyclings nachhaltig zu lösen, muss der Lösungsansatz drei Grundprinzipien erfüllen: 1. Er muss marktwirtschaftlich; 2. technologieoffen sein; und 3. global konzipiert sein.

Kunststoffverbote, Recyclingquoten, obligatorische Erhöhungen der Pfandsätze, Plastiksteuern usw., insbesondere wenn sie sich auf Deutschland und die EU beschränken, sind daher kontraproduktiv. Recycling, und vor allem der tatsächliche Einsatz von Kunststoff-Rezyklaten, muss wieder wirtschaftlich interessant werden.

Das deutsche Unternehmens-basierte Duale System (Grüner Punkt) geht damit in die richtige Richtung, stößt aber auch an seine Grenzen.

Kunststoff-Zertifikate-Handel

Eine viel effektivere Alternative könnte die Schaffung eines globalen Handelssystems für Kunststoffzertifikate sein, welches nach dem bekannten „Cap and Trade“-Prinzip funktioniert: Die Gesamtmenge an neu produziertem Kunststoffgranulat, den die Sektoren für die Verarbeitung verbrauchen dürfen, ist „gedeckelt“ und wird sukzessive gesenkt. Dieser Gesamtbetrag wird in „Kunststoffzertifikate“ aufgeteilt.

Um eine bestimmte Menge an neu produziertem Kunststoffgranulat konsumieren zu können, müssen Unternehmen die entsprechende Menge an „Kunststoffzertifikaten“ auf dem internationalen Kunststoffzertifikate-Markt kaufen. Unternehmen, die ressourcenschonender produzieren und weniger neues Plastik verbrauchen, können ihre freigewordenen Kunststoffzertifikate global verkaufen. Andere Unternehmen können diese dann wiederum kaufen. Somit sind die Kunststoffzertifikate international „handelbar“ (Abb. 1).

Abb. 1. Funktionsweise des weltweiten Handelssystems für Kunststoffzertifikate

Quelle: Grafik des Autors.

Gleichzeitig können Unternehmen, die Kunststoff-Rezyklate produzieren, selbst Kunststoffzertifikate in entsprechender Menge ausstellen, die sie auf dem internationalen Kunststoffzertifikate-Markt verkaufen können. Das entspricht damit dem Konzept der Integration von Negativ-Emissions-Technologien in die Emissionshandelssysteme.[9]

Aus konzeptioneller Sicht kehrt die Einbindung der Kunststoffrezyklat-Produktion den Prozess eines konventionellen Cap-and-Trade-Systems um. Jedes kunststoffverarbeitende Unternehmen muss in Höhe seines Frischkunststoffverbrauchs neue Kunststoffzertifikate kaufen, da davon ausgegangen wird, dass eine steigende Produktion von Neuplastik auch die Gesamtmenge an Kunststoffabfällen erhöht (ceteris paribus).

Wenn Plastikmüll durch Verarbeitung zu Rezyklaten reduziert wird, würden Plastikzertifikate wieder in den Handelsraum gelangen, da Plastikrecycling die Gesamtmenge an Plastikmüll reduziert.

Aus wirtschaftlicher Sicht würde die Bereitstellung von Kunststoffzertifikaten dank der Herstellung von Rezyklaten bedeuten, dass die unelastische Obergrenze für das Angebot von Kunststoff-Zertifikaten elastisch und sich die Bereitstellung von Kunststoffzertifikaten für Recycling-Unternehmen rentiert. Dementsprechend können wir zwischen der von einer globalen Regulierungsbehörde festgelegten Gesamtobergrenze und der effektiven Obergrenze unterscheiden, die sich aus der Angebotskurve für Plastikzertifikate ergibt (Abb. 2).

Abb. 2. Integration der Produktion von Kunststoffrezyklaten („negative“ Neukunststoffe) in das Handelssystem für Kunststoffzertifikate

Quelle: Grafik des Autors auf Basis von Rickels W. et al (2019).

Durch die Knappheit und Handelbarkeit von Zertifikaten entsteht ein Zertifikatspreis, der wiederum unternehmerische Anreize für das Kunststoffrecycling schafft.

Die Einnahmen aus dem Handelssystem für Kunststoffzertifikate sollten zur Finanzierung der Forschung und Entwicklung von Kunststoffrecyclingtechnologien und der Anwendung von Kunststoffalternativen verwendet werden. Zum Vergleich, im Jahr 2019 erwirtschaftete das EU-Emissionshandelssystem beispielsweise 14 Mrd. Euro.[10]

Als Vorteile dieses Systems: schafft es marktbasierte Anreize für den Verbrauch von weniger neuem Kunststoff und von mehr Rezyklaten; steigert den Umsatz für Recyclingunternehmen; lässt die Marktkräfte die effizientesten Technologien und Ansätze zur Reduzierung von Kunststoffabfällen selbst ermitteln; und ist global – was ermöglicht, die Produktion von ölbasierten neuen Kunststoffen zu reduzieren und Rezyklate dort zu verarbeiten, wo es am billigsten ist. Insgesamt wird die weltweite Menge an Kunststoffabfällen aus ökologischer, ökonomischer und technologischer Sicht somit am effizientesten reduziert.

Politische Handlungsempfehlungen

Die Bundesregierung sollte sich auf allen Ebenen für die Schaffung eines globalen Handelssystems für Kunststoffzertifikate einsetzen, welches nach dem „Cap and Trade“-Prinzip funktioniert und die Verarbeitung von Kunststoff-Rezyklaten belohnt.

Das deutsche Dual System (Grüner Punkt) kann in solch einen internationalen Plastik-Zertifikate-Handel integriert werden.

Gleichzeitig sollte sich die Bundesregierung auf allen Ebenen für die Abschaffung der Kunststoff-Recyclings-Quoten des deutschen Verpackungsgesetzes von 2019 und für die Abschaffung der EU-Plastiksteuer von 2021 einsetzen.

Die Einnahmen aus dem Handelssystem für Kunststoffzertifikate sollten zur Finanzierung der Forschung und Entwicklung von Kunststoffrecyclingtechnologien und der Anwendung von Kunststoffalternativen verwendet werden.

Quellen

[1] Istel K. (2021). Kunststoffabfälle in Deutschland. NABU. URL: https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/abfall-und-recycling/22033.html

[2] IUCN (2018). Marine plastics. URL: https://www.iucn.org/sites/dev/files/marine_plastics_issues_brief_final_0.pdf

[3] Neubig M. (2021). 30 Jahre Verpackungsgesetze in Deutschland. Deutschlandfunk. URL: https://www.deutschlandfunk.de/30-jahre-verpackungsgesetze-in-deutschland-muell-markt-moral.724.de.html?dram:article_id=499277

[4] Reichert G. (2021). The “EU Plastic Tax”. Greenwashing New Revenue for the EU Budget. cep. URL: https://www.cep.eu/fileadmin/user_upload/cep.eu/Studien/cepInput_EU_Plastic_Tax/cepInput_EU_Plastic_Tax.pdf

[5] Menner M., Reichert G. (2019). CO2-Steuer oder Emissionshandel? EU-Vorgaben und Optionen für eine CO2-Bepreisung in Deutschland. cep. URL:  https://www.cep.eu/fileadmin/user_upload/cep.eu/Studien/cepAdhoc_CO2_Bepreisung/CO2-Steuer_oder_Emissionshandel.pdf

[6] Sinn H.W. (2020). Das grüne Gewitter. ifo Institut. URL: https://www.hanswernersinn.de/de/das-gruene-gewitter-faz-10012020

[7] Hannover J. (2021). Der schwierige Kampf gegen den Plastikmüll. Deutschlandfunk. URL: https://www.deutschlandfunk.de/das-problem-mit-dem-kunststoff-der-schwierige-kampf-gegen.724.de.html?dram:article_id=499695

[8] Klawitter N. (2020). Corona Plastic Boom. The Myth of German Recycling. Spiegel. URL: https://www.spiegel.de/international/business/corona-plastic-boom-the-myth-of-german-recycling-a-f136c2c7-09f2-40f3-8736-1b644f00da05

[9] Rickels W. et al. (2020). The Future of (Negative) Emissions Trading in the European Union. IfW Kiel. URL: https://www.ifw-kiel.de/experts/ifw/wilfried-rickels/the-future-of-negative-emissions-trading-in-the-european-union-15070/

[10] European Commission (2021). Auctioning of allowances. URL: https://ec.europa.eu/clima/policies/ets/auctioning_en

Haftungsausschluss

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