Potenziale einer deutschen Kohlenstoff- bzw. Kohlenwasserstoff-Kreislaufwirtschaft

_ Jurij Kofner, Ökonom, MIWI Institut. München, 9 Februar 2022.

Die Dekarbonisierungspolitik der Bundesregierung bedeutet eine große Belastung für die deutsche Wirtschaft. Allein die direkten Maßnahmen zur CO2-Bepreisung – nationale CO2-Abgabe, Ausweitung des EU ETS und das CBAM – werden die deutsche Wirtschaft bis 2030 jährlich über 32 Milliarden Euro kosten (1 Prozent des BIP, knapp 400 Euro pro Person). [1], [2] Das dadurch verursachte Carbon Leakage, also die Abwanderung der deutschen Industrie, könnte das deutsche BIP um weitere 100 Basispunkte reduzieren. [3]

Dabei sollte man Kohlendioxid nicht als „Feind“ betrachten, sondern als nützlicher Rohstoff für eine moderne Industrie, den man schonen und im Rahmen einer Kohlenstoff- bzw. Kohlenwasserstoff-Kreislaufwirtschaft wiederverwenden soll. Dieser Ansatz wird als Carbon Capture and Utilization (CCU) bezeichnet.

Gerade für die heimische Wirtschaft haben CCU-Technologien drei wichtige Vorteile.

Erstens: Wenn es gelänge, nationale Kohle-, Heizöl-, und Gaskraftwerke kostengünstig so umzurüsten, dass sie kein CO2 mehr in die Atmosphäre emittieren würden, dann wäre das ein mehrheitsfähiges Argument gegen den Kohle- und Gasausstieg. Kohle, Heizöl und Gasstrom leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur deutschen Grundlastsicherheit (88 Prozent in 2020) und als Netzreserve. [4]

Zweitens, der Automobilsektor ist eine Kernbranche der deutschen Wirtschaft (830.000 direkte Arbeitsplätze, 163 Mrd. Euro Wertschöpfung, d.h. 4,7 Prozent des bayerischen BIP). [5] Nach Angaben des ifo Instituts werden durch die Umstellung auf E-Mobilität jedoch rund 215.000 Stellen bis 2030 wegfallen. [6] Demgegenüber hat der Umstieg auf synthetische Kraftstoffe aus wiederverwendetem CO2 erhebliche Vorteile: Erhalt der deutschen Marktführerschaft in der innovations- und wertschöpfungsintensiven Verbrennungsmotortechnologie, einfache Weiternutzung der bestehenden Infrastruktur (z. B. Tankstellen) und dauerhaft große Absatzmärkte.

Drittens kann abgeschiedener Kohlenstoff für verschiedene industrielle Zwecke genutzt werden, wie, z.B. in der heimischen Chemieindustrie für Kunststoffe und Kosmetika. Auch der deutsche Maschinen- und Anlagenbau kann internationaler Weltmarktführer bei der Herstellung und Vermarktung von Umwandlungssystemen zur Herstellung von synthetischen Kraftstoffen zu werden. Nach Einschätzungen des IW Köln können bis 2030 rund 30 Milliarden Euro Wertschöpfung und fast 400.000 neue Arbeitsplätze in diesem Sektor bundesweit geschaffen werden. [7] Laut Analysen von KfW Research liegt der jährliche weltweite Bedarf an industriellem CO2 bei rund 230 Megatonnen (Mt) CO2; größter Nachfrager ist die Düngemittelindustrie mit jährlich rund 125 Mt/CO2. [8]

Jedoch sind zum jetzigen Zeitpunkt die CCU-Technologien noch unwirtschaftlich: Die Abscheidung einer Tonne CO2 im Kraftwerkssektor wird aktuell mit ca. 52 Euro kalkuliert. Die Abscheidung aus Industrieprozessen ist meist mit höheren Kosten verbunden und liegt zwischen 52 und 160 Euro pro Tonne CO2. Mit der weltweiten Zunahme an Anlagen und neuen Forschungsaktivitäten ist aber mit weiteren Kostenreduktionen zu rechnen. [9]

Um die Potenziale von CO2-Abscheidungs- und Verwertungstechnologien auszuschöpfen, sollte der Bund auf eine Industriepolitik der einseitigen Markteinführungsunterstützung durch Subventionen verzichten. Stattdessen wären aus ordoliberaler Sicht zwei Maßnahmen zu begrüßen: Erstens sollte die Bundesregierung Forschung und Entwicklung von CCU-Technologien fördern, um diese günstig genug für die Anwendung zu machen. Zweitens sollte Berlin über Steuererleichterungen oder -erstattungen (z.B. der CO2-Abgabe) für Unternehmen nachdenken, die nachweislich eigenes oder fremdes Kohlendioxid recyceln.

Quellen:

[1] Matthes F. et al. (2021). CO2-Bepreisung und die Reform der Steuern und Umlagen auf Strom: Die Umfinanzierung der Umlage des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Öko-Institut. URL: https://bit.ly/3sbOcxM

[2] European Commission (2021). Proposal for a regulation of the European Parliament and of the Council establishing a carbon border adjustment mechanism. URL: https://bit.ly/3HorBEy

[3] Böhringer C., Peterson S. et al. (2021). Climate Policies after Paris: Pledge, Trade, and Recycle. IfW Kiel. URL: https://bit.ly/35TUKK9

[4] BDEW (2021). Installierte Leistung und Erzeugung 2020. Gesamte Elektrizitätswirtschaft. URL: https://bit.ly/3JvzM2L | BDMWi (2019). Monitoringbericht zur Versorgungssicherheit im Bereich der leitungsgebundenen Versorgung mit Elektrizität. URL: https://bit.ly/3GCRHSY

[5] Puls T. (2021). Strukturwandel in der Automobilindustrie – wirkt die Pandemie als Beschleuniger? IW Köln- URL: https://bit.ly/34JBYnS

[6] Falck O., Czernich, N., Koenen J. (2021). Auswirkungen der vermehrten Produktion elektrisch betriebener Pkw auf die Beschäftigung in Deutschland. ifo Institut. URL: https://bit.ly/3JgccGQ

[7] Fritsch M., Puls T., Schaefer T. (2021). Synthetische Kraftstoffe: Potenziale für Europa: Klimaschutz- und Wertschöpfungseffekte eines Hochlaufs der Herstellung klimafreundlicher flüssiger Energieträger. IW Köln. URL: https://bit.ly/35TTIxL

[8] Seidel F. (2021). CCUS-Technologien: Ein wichtiger Baustein für den Klimaschutz? KfW Research. URL: https://bit.ly/3upAGt6

[9] Seidel F. (2021).

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