Synthetische Kraftstoffe und das ETS: Der richtige Weg zur Rettung der deutschen Automobilindustrie

_ Jurij Kofner, Ökonom, MIWI – Institut für Marktintegration und Wirtschaftspolitik. München, 01. März 2021.

Bedeutung und Strukturwandel der Automobilindustrie

Die Automobil- und Zulieferindustrie ist ein zentraler Wirtschaftszweig für Wachstum, Arbeitsmarkt, Innovation und soziale Gerechtigkeit in Deutschland und Bayern. Im Jahr 2019 machten die 1.363 deutschen Automobil- und Kraftfahrzeugunternehmen mit knapp einer Million Beschäftigten und einem Umsatz von knapp 440 Milliarden Euro mehr als ein Zehntel der Bruttowertschöpfung und 3 Prozent der Beschäftigung in Deutschland aus. Im gesamten verarbeitenden Gewerbe trägt es direkt zu rund 20 Prozent der Bruttowertschöpfung, 12 Prozent der Beschäftigung und 44 Prozent der eigenen Forschungs- und Entwicklungsausgaben bei. Im Durchschnitt verdient ein Beschäftigter in der Automobilindustrie 830 Euro mehr als im Rest des verarbeitenden Gewerbes. Kleinstunternehmen und mittelständische Unternehmen machen vier Fünftel der Unternehmensstruktur der deutschen Automobilindustrie aus. [1]

Im Jahr 2019 machten 235 bayerische Kraftfahrzeugunternehmen mit 206.000 Beschäftigten und einem Umsatz von 117 Milliarden Euro knapp 16 Prozent der Bruttowertschöpfung und 11 Prozent der Beschäftigung in Bayern aus. [2]

Das politische Ziel der CO2-Einsparung führt zu einem massiven Strukturwandel in der deutschen und bayerischen Automobil- und Zulieferindustrie, der ohne eine horizontalere industriepolitische Unterstützung kurzfristig zu deutlichen Verlusten in den Bereichen Wertschöpfung, internationale Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze führen wird , mittel- und möglicherweise sogar langfristig.

Im Jahr 2020 sind in Deutschland die vierteljährlichen Veränderungsraten des preisbereinigten Absatzes von Kraftfahrzeugen, Motoren, Teilen und Zubehör zwischen -10 und -50 Prozent eingebrochen. Der preisbereinigte Umsatz im bayerischen Kfz-Handwerk ging im Vergleich zu 2019 um 6 Prozent zurück. Die Mitarbeiterzahl ging um 2 Prozent zurück. [3]

Die Corona-Wirtschaftskrise hat die schlechte Geschäftslage in der deutschen und bayerischen Automobil- und Zulieferindustrie jedoch nicht verursacht, sondern nur verschlimmert. Seit Mitte 2018 war der preisbereinigte Absatz von Kraftfahrzeugen, Motoren, Teilen und Zubehör deutscher Automobilunternehmen mit durchschnittlich −5 bis −10 Prozent negativ. Ab 2016 war die Bruttowertschöpfung in der Automobilindustrie negativ und ging im Durchschnitt um 1 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück. In Deutschland ging die Beschäftigung in der Branche zwischen 2018 und 2019 um 0,1 Prozent zurück [4] , in Bayern sogar um 1 Prozent. [5] Das ifo Geschäftsklima in der Automobil- und Zulieferindustrie verschlechtert sich seit Anfang 2018 kontinuierlich.

Eine horizontale Industriepolitik und Technologieneutralität

Wenn sich die EU, Deutschland und Bayern zum Ziel gesetzt haben, eine CO2-neutrale Wirtschaft zu schaffen, ist es wichtig, dass dieses Ziel möglichst technologieneutral und marktbasiert erreicht wird. Dies bedeutet unter anderem, ein „level playing field“ (ein Gleichbehandlungsregime) für alle CO2-sparenden Energieträger zu schaffen und aufrechtzuerhalten.

Bei der Analyse der bestehenden Strategien, Fahrpläne und Haushaltspläne lässt sich feststellen, dass die den Strukturwandel begleitenden Förderprogramme der EU, der Bundesregierung und Bayerns überwiegend einseitig auf Elektromobilität und Wasserstofftechnologien ausgerichtet sind, während andere CO2-neutrale Energie-Träger und Antriebe benachteiligt werden, z.B. CO2-neutrale synthetische Kraftstoffen (E-Fuels) und CO2-sparenden Verbrennungsmotoren.

Die Vorteile synthetischer Kraftstoffe

Es gibt jedoch gute Gründe, warum CO2-neutrale synthetische Kraftstoffe im regulatorischen Rahmen mit Wasserstoff und E-Mobilität gleich behandelt werden sollten.

Es gibt bereits viele und relativ gut entwickelte technologische Möglichkeiten, synthetische Kraftstoffe CO2-neutral zu produzieren. So arbeitet das Fraunhofer-Institut in Bayern beispielsweise an der Erforschung, Entwicklung und Markteinführung des TCR-Verfahrens, bei dem synthetische Kraftstoffe CO2-neutral aus biogenen Reststoffen und unter teilweiser Sequestrierung hergestellt werden. Allein in Deutschland besteht ein technisches Potenzial von über 20 Millionen Tonnen ungenutzter biogener Reststoffe und Abfälle, die für die Herstellung CO2-neutraler synthetischer Kraftstoffe genutzt werden können. Diese stehen im Gegensatz zu Biodiesel nicht im Widerspruch zur Nahrungsmittelproduktion. [6]

Zum Vergleich: Mit dem aktuellen deutschen Strommix produzieren E-Autos während ihres Lebenszyklus mehr CO2 als konventionelle Verbrennungsmotoren. [7]

Im Gegensatz zu Wasserstoff und insbesondere E-Mobilität kann bei der Umstellung auf synthetische Kraftstoffe in der heimischen Automobilindustrie die Wertschöpfungsstruktur auf Basis des Verbrennungsmotors erhalten bleiben, die für die internationale Wettbewerbsfähigkeit, den Arbeitsmarkt und die Innovation von zentraler Bedeutung ist Aktivität in Deutschland und Bayern Nach Studien des ifo Instituts hängen mehr als 600.000 deutsche Industriearbeitsplätze, rund 130.000 Arbeitsplätze im Mittelstand und rund 13 Prozent (48 Milliarden Euro) der Bruttowertschöpfung direkt und indirekt von der Verbrennungsmotortechnologie ab. [8]

Laut einer Studie für das Bundesministerium für Wirtschaft, sind bis zum Jahr 2040 fast 300.000 Arbeitsplätze in der Automobilindustrie durch die Elektrifizierung des Automobilmarktes bedroht. [9] Der Wandel hin zur elektrischen Batterie, die vor allem in Asien produziert wird, wird allein die bayerischen Automobilzulieferer bis 2025 rund 55.000 Arbeitsplätze kosten. [10]

Der Einsatz von CO2-neutralen synthetischen Kraftstoffen ist auch deshalb von Vorteil, weil trotz aller staatlichen Maßnahmen weiterhin Verbrennungsmotoren im in- und ausländischen Mobilitätssektor gekauft und eingesetzt werden.

Prognosen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) gehen für 2030 davon aus, dass bei einem Bestand von 10 bis 13 Millionen Elektroautos über 70 Prozent der Fahrzeuge weiterhin mit Verbrennungsmotoren ausgestattet sein werden. [11] Trotz COVID und der Maßnahmen zur angeblichen Eindämmung des Klimawandels wird die weltweite Nachfrage nach Verbrennungsmotoren bis 2025 voraussichtlich immer noch um 4,9 Prozent jährlich steigen, insbesondere in den Schwellenländern. [12]

Nach ersten Wirtschaftlichkeitsrechnungen könnte CO2-neutraler synthetischer Kraftstoff nach dem bayerischen TCR-Verfahren zu 75 Cent pro Liter (vor Steuern) hergestellt werden. Eine weitere Kostensenkung durch das Upscaling der Technologien ist absehbar. [13]

Nach Angaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie gibt es im Verkehrssektor noch weite Bereiche, in denen ein rein batterieelektrischer oder H2O-basierter Verkehrsträger bis 2050 wirtschaftlich schwierig bzw. überhaupt nicht realisierbar ist. Zu diesen Bereichen gehört die Luft Verkehr, Schifffahrt, Land- und Baumaschinen sowie Schwerlastverkehr [14] .

Mit einer Verlagerung hin zu synthetischen Kraftstoffen kann nicht nur die wettbewerbsfähige deutsche und bayerische Wertschöpfungsstruktur in der Automobil-, Luftfahrt- und Schifffahrtsindustrie sichergestellt und gesteigert, sondern auch die bestehende konventionelle Infrastruktur aus Tankstellen, Speichern und Pipelines erhalten und ohne zusätzliche Kosten verwendet werden.

Auch können synthetische Kraftstoffe dem Benzin und Diesel beigemischt werden. Damit kann man, im Vergleich zur E-Mobilität, bereits jetzt den CO2-Ausstoß aktiv senken. Wenn man bei allen in Deutschland im Umlauf befindlichen Autos mit Verbrennungsmotor nur 5 Prozent synthetischen Kraftstoff beimischt, würde man genau so viel CO2-Emissionen reduzieren, wie wenn 100 Prozent der Neuwagen in einem Jahr elektrisch wären.

Nach Prognosen des IW Köln könnte der weltweite Bedarf an synthetischen Kraftstoffen bis 2050 gut 20.000 TWh erreichen – das entspricht der Hälfte des heutigen Weltrohölmarktes. Im Gegensatz zur E-Batterie, kann Deutschland zum internationalen Weltmarktführer bei der Herstellung und Vermarktung von Umwandlungsanlagen zur Erzeugung von synthetischen Energieträgern werden. Durch eine Gleichstellung von synthetischen Kraftstoffen können jährlich rund 30 Milliarden Euro Wertschöpfung und insgesamt fast 400.000 neue Arbeitsplätze im deutschen Maschinen- und Anlagenbau entstehen. [15]

Politikempfehlungen

Aus den oben genannten Gründen sollte sich die Bundesregierung auf allen Ebenen für eine ordnungspolitische Gleichstellung (Gleichbehandlungsregime) von Forschung, Entwicklung und Markthochlauf CO2-neutraler synthetischer Kraftstoffe gegenüber Wasserstoff und Elektromobilität einsetzen. Dies kann unter anderem folgende Maßnahmen umfassen:

  • Verabschiedung von Strategien für CO2-neutrale synthetische Kraftstoffe auf bayerischer, Bundes- und EU-Ebene nach dem Vorbild der jeweiligen Wasserstoffstrategien auf bayerischer, Bundes- und EU-Ebene.
  • Die steuerliche Gleichstellung (Gleichbehandlungsregime) von CO2-neutralen synthetischen Kraftstoffen sowie Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor, bei denen technisch gewährleistet ist, dass sie nur mit CO2-neutralen synthetischen Kraftstoffen betrieben werden können, gegenüber Elektromobilität und Wasserstofftechnologien im Kraftstoff Emissionshandelsgesetz (BEHG), Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), Kraftfahrzeugsteuergesetz (KraftStG), Bundesfernstraßenmautgesetz (BFStrMG), Elektromobilitätsgesetz (EmoG), Einkommensteuergesetz (EStG), das EU-Emissionshandelssystem (ETS) usw.
  • Die Aufnahme CO2-neutraler synthetischer Kraftstoffe in die Flottenbilanz in den EU-Richtlinien 2009/30/EG und 2009/50/EG.
  • Die Gleichstellung CO2-neutraler synthetischer Kraftstoffe in der EU-RED-II-Richtlinie im Vergleich zu Wasserstoff und E-Mobilität.
  • Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, die garantiert nur mit CO2-neutralen synthetischen Kraftstoffen betrieben werden können, sollen bei der von der Bundesregierung geplanten Reform der Dienstwagenbesteuerung berücksichtigt werden.
  • Der rechtliche Rahmen für Zuschüsse zum Kauf von Fahrzeugen mit alternativem Antrieb auf Basis von Wasserstoff und Elektromobilität sollte dahingehend geändert werden, dass diese Fördermittel auch für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor gelten, sofern technisch sichergestellt ist, dass diese nur mit CO2- neutralen synthetischen Kraftstoffen betrieben werden können.
  • Die in den Haushalten auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene vorgesehenen Posten zur Förderung der Forschung, Entwicklung und des Markthochlaufs von Elektromobilität und Wasserstofftechnologien müssen auf CO2-neutrale synthetische Kraftstoffe ausgeweitet werden.

Eine wichtige parallele politische Maßnahme, die in diesem Artikel nicht erläutert werden konnte, aber der Richtigkeit und Vollständigkeit halber erwähnt werden muss, wäre, alle bürokratischen CO2-Verbote auf allen Ebenen aufzuheben und stattdessen das EU-Emissionshandelssystem (ETS) anzuwenden, auf andere Sektoren, insbesondere Verkehr und Bau, auszuweiten und das ETS im Rahmen einer globalen „Klimakoalition“ so weit wie möglich auf andere Länder auszuweiten. [16] Denn wenn schon das Ziel der CO2-Einsparung gesetzt wurde, sollte es den Märkten selbst, also den Produzenten und Verbrauchern, überlassen bleiben, wo und wie Kohlendioxid am effektivsten eingespart werden kann. [17] [18] Auf diese Weise können die Grundprinzipien der Technologieoffenheit und Marktwirtschaft eingehalten werden.

Anmerkungen

[1] ifo Institut (2021). Strukturmerkmale Automobilindustrie. URL: https://www.ifo.de/en/industry-atlas/automotive-industry

[2] StMWi (2020). Industriebericht Bayern 2020. URL: https://www.bayern.de/industriebericht-bayern-2020/

[3] Bayerisches Landesamt für Statistik (2021). Umsatz und Beschäftigte im bayerischen Kraftfahrzeughandel. URL: https://www.statistik.bayern.de/mam/produkte/veroffentlichungen/statistische_berichte/g1200c_202011.pdf

[4] Statistisches Bundesamt (2020). Bruttowertschöpfung der deutschen Automobilindustrie in den Jahren 2008 bis 2019. URL: https://www-genesis.destatis.de/genesis/online/data

[5] ifo Institut (2021). Konjunkturumfrage Bayern im Auftrag des StMWi. URL: https://www.stmwi.bayern.de/fileadmin/user_upload/stmwi/Publikationen/2021/2021-02-10_Konjunkturstest_0121.pdf

[6] Fraunhofer UMSICHT (2021). Synthetische Kraftstoffe aus Biomasse-Reststoffen. URL: https://www.um-sicht-suro.fraunhofer.de/de/unsere-loesungen/biokraftstoff.html  

[7] Sinn H.W. (2020). Möglichkeiten und Grenzen der europäischen Energiewende – Perspektive eines Volks-wirtes. ifo Institut. München. URL: https://www.hanswernersinn.de/de/moeglichkeiten-grenzen-europ-energiewende-ake-dpg-02102020

[8] ifo Institut (2017). Auswirkungen eines Zulassungsverbots für Personenkraftwagen und leichte Nutzfahr-zeuge mit Verbrennungsmotor. URL: https://www.ifo.de/publikationen/2017/monographie-autoren-schaft/auswirkungen-eines-zulassungsverbots-fuer

[9] (2019). Automobile Wertschöpfung 2030/2050. Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. URL: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Studien/automobile-wertschoepfung-2030-2050.html 

[10] BIHK und ifo Institut (2019). Fahrzeugbau – wie verändert sich die Wertschöpfungskette? München. URL: https://www.ifo.de/en/publikationen/2019/monograph-authorship/fahrzeugbau-wie-verandert-sich-die-wertschopfungskette

[11] DLR (2019). Studie Tankstelle der Zukunft. Mobilitätstrends 2040. URL: https://www.aral.de/con-tent/dam/aral/business-sites/de/global/retail/presse/pressemeldungen/2019/Aral_Studie_Tank-stelle_der_Zukunft_2019.pdf

[12] Grand View Research (2018). Internal Combustion Engine Market Size, Share & Trends Analysis Report 2018 – 2025. URL: https://www.grandviewresearch.com/industry-analysis/internal-combustion-engine-market

[13] Fraunhofer UMSICHT (2021). Leitprojekt „Verbrennungsmotor für die Mobilität der Zukunft“. URL: https://www.umsicht-suro.fraunhofer.de/content/dam/umsicht-suro/de/documents/Infomate-rial/Gr%C3%BCner%20Verbrenner_DE.pdf

[14] BMWI (2020). Die Nationale Wasserstoffstrategie. URL: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikatio-nen/Energie/die-nationale-wasserstoffstrategie.html

[15] IW Köln (2018). Synthetische Energieträger – Perspektiven für die deutsche Wirtschaft und den internationalen Handel. URL: https://www.iwkoeln.de/studien/gutachten/beitrag/manuel-fritsch-thilo-schaefer-perspektiven-fuer-die-deutsche-wirtschaft-und-den-internationalen-handel.html

[16] Sinn H.W. (2019). Wie retten wir das Klima und wie nicht? ifo Institut. URL: https://www.hanswernersinn.de/de/video-vortrag-wie-retten-wir-das-klima-und-wie-nicht-16122019

[17] ifo Institut (2019). Zur Bepreisung von CO2-Emissionen – Ergebnisse aus dem Ökonomenpanel. URL: https://www.ifo.de/en/publikationen/2019/article-journal/zur-bepreisung-von-co2-emissionen-ergebnisse-aus-dem

[18] Peterson S., Rieckels W. (2020). Anhebung der EU-Klimaziele: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. IfW Kiel. URL: https://www.ifw-kiel.de/index.php?id=15569&L=1

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