Vermeidung von Lieferengpässen bei Rohstoffen für deutsche Unternehmen

_ Jurij Kofner, Ökonom, MIWI Institut für Marktintegration und Wirtschaftsforschung. München, 2. Juni 2021.

Der Mangel an Vorprodukten ist für die deutsche Industrie zu einem ernsten Problem geworden. 45 Prozent der vom ifo Institut im April 2021 befragten Industrieunternehmen berichteten von Engpässen. Dies ist der mit Abstand höchste Wert seit Januar 1991. Mit 71 Prozent sind Hersteller von Gummi- und Kunststoffwaren besonders von Materialknappheit betroffen. Es folgen Automobilhersteller und deren Zulieferer mit 65 Prozent, Hersteller von Elektrogeräten mit 63 Prozent, Computerhersteller mit 58 Prozent, Möbelhersteller mit 57 Prozent und Hersteller von Holz, Flecht- und Korbwaren mit 53 Prozent. [1]Vor allem auf deutschen Baustellen hat sich die Materialproblematik verschärft: Im Mai 2021 gaben 44 Prozent der Unternehmen im Hochbau und 34 Prozent der Unternehmen im Tiefbau an, Probleme bei der termingerechten Beschaffung von Baustoffen zu haben. [2]

Die Gründe für die aktuellen Lieferengpässe und den Preisanstieg vieler Rohstoffe sind vielfältig. Gleichzeitig kamen verschiedene Trends und Events zusammen.

Aufgrund der Nachfrageschwäche auf dem Höhepunkt der Corona-Krise haben viele Produzenten die regelmäßige Wartung ihrer Produktionsanlagen vorgezogen, die in der Regel einige Monate dauert. Im Gegenteil, andere Hersteller haben ihre Investitionen zurückgefahren.

Gleichzeitig hat die Aufhebung der Corona-Beschränkungen in Asien und Amerika, beflügelt durch eine extrem expansive Fiskal- und Geldpolitik vor allem in China und den USA, plötzlich und früher als erwartet die Nachfrage nach globalen Rohstoffen beflügelt. Die Transportkosten von Asien nach Europa explodierten zum Jahreswechsel 2020/21. Ein Containertransport von Ostasien nach Europa ist mittlerweile fast fünfmal teurer als noch vor einem Jahr.

Hinzu kam eine Blockade des Suezkanals, die nach Einschätzung von Experten des IfW Kiel in den kommenden Monaten noch Auswirkungen auf den weltweiten Seehandel haben könnte. [3]

Fast 80 Prozent der EU-Exporte in Nicht-EU-Mitgliedstaaten werden per Schiff transportiert. Dadurch sind die Störungen der Lieferkette während der Corona-Krise eng mit dem Containerschifffahrtsmarkt verbunden. Das ifo Institut hat zwei wichtige Trends festgestellt: Die zunehmende Marktkonzentration und die zunehmende Größe der Containerschiffe, die weniger Flexibilität haben, geringere Schiffsfrequenzen und konzentriertere Routenangebote als Nebenwirkungen. [4]

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Engpässe bei der Anlieferung von Rohstoffen zu beheben. Erstens muss mehr in große Transportlogistikprojekte investiert werden, um Alternativen zum Suezkanal zu haben.

Beispiele sind der Ausbau der Nordseeroute im Arktischen Ozean Russlands [5] und die von der wiiw vorgeschlagene Errichtung einer „Europäischen Seidenstraße“ als westliche Verlängerung des kontinentalen „Seidenstraßen-Wirtschaftsgürtels“ Chinas. [6] Laut einer Gravitationssimulation des niederländischen Amtes für Wirtschaftspolitik (CPB) wird die Eröffnung der Nordseestraße Deutschlands BIP um fast 0,3 Prozent steigern, [7] während die „Europäische Seidenstraße“ nach wiiw-Berechnungen , wird das deutsche BIP um 0,7 Prozent steigern.

Zweitens sollten Anstrengungen zur Diversifizierung der Importe unternommen werden, um die Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten wie China zu verringern. Eine Metastudie des MIWI-Instituts zeigt, dass eine regionale Freihandelsagenda zwischen der EU mit den USA, der EAWU, der Afrikanischen Union, dem Mercosur und der ASEAN das deutsche BIP um 4,1 Prozent steigern würde. [8]

Beide strategischen Optionen – die Verbesserung und Diversifizierung der Handelswege – sind langfristig angelegt und müssen daher auf Bundestags- und EU-Ebene gefördert werden.

Eine weitere langfristig ausgelegte, aber wichtige, Maßnahme ist die Verstetigung der staatlichen Investitionsaktivitäten in Infrastrukturprojekte. [9]

Inwieweit es möglich und ratsam wäre, die Verlagerung von Produktionskapazitäten zurück nach Deutschland zu fördern, ist eine komplexe Frage gezielter Wirtschaftsforschung. Sicher ist jedoch, dass angesichts der derzeit höchsten Strompreise, Steuern und bürokratischen Belastungen in Deutschland ein solcher Versuch mit der jetzigen Regierung nur sehr schwer umsetzbar wäre.

Führende deutsche Ökonomen wie das ifo-Institut schlagen daher vor, dass die Bevorratung kritischer Rohstoffe die wirtschaftlich sinnvollste Form der Krisenprävention bei solchen Versorgungsengpässen ist. [10]

Ein staatliches Beschaffungs- und Speichersystem oder ein Speicherauftrag für private Unternehmen wäre suboptimal, da dies einen weiteren Verstoß gegen die Grundsätze der freien Marktwirtschaft darstellen würde.

Aus den oben genannten Gründen wäre eine sinnvolle und mittelfristig umsetzbare Option die Einführung steuerlicher Anreize, die private Unternehmen dazu veranlassen würden, ihre Lagerbestände an bestimmten kritischen Rohstoffen aufzustocken. Die Bundesregierung könnte daher eine Steuerbefreiung für private Unternehmen für die Lagerung bestimmter kritischer Rohstoffe einführen.

Kurzfristig zur Entspannung der Versorgungslage könnte die EU eine zeitlich begrenzte Herabsenkung oder Aufhebung der EU-Import- und Sonderzölle sowie der Anti-Dumping-Maßnahmen auf Baumaterialien und kritische Rohmaterialien einführen. Diese Zollreduzierungen könnten bestehen bleiben, solange bis der Binnenpreis für diese Güter wieder unter ein bestimmtes Niveau fällt.

Anmerkungen

[1] ifo-Institut. (2021). Engpässe bei der Beschaffung könnten Aufschwung der Industrie bremsen. URL: https://www.ifo.de/node/63076

[2] ifo-Institut (2021). Materialmangel auf dem Bau verschärft sich drastisch. URL: https://www.ifo.de/node/63511

[3] Stamer V. (2021). Maritimer Handel: Stau im Suezkanal verschärft Folgen der Corona-Krise. IfW Kiel. URL: https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/medieninformationen/2021/maritimer-handel-stau-im-suezkanal-verschaerft-folgen-der-corona-krise/

[4] Baur A.; Flach L., Gröschl J. (2021). Containerschifffahrt in stürmischen Zeiten – Analyse und Ausblick. ifo Institut. URL: https://www.ifo.de/publikationen/2021/aufsatz-zeitschrift/containerschifffahrt-stuermischen-zeiten-analyse-und

[5] IIASA. (2020). „Aufstrebende Handelsrouten zwischen Europa und Asien“. URL: https://iiasa.ac.at/web/home/research/researchPrograms/AdvancedSystemsAnalysis/201105-ndi-foresight-2.html

[6] Heimberger P., Holzner M., Kochnev A. (2018). Die „Europäische Seidenstraße“. wiiw. URL: https://wiiw.ac.at/die-europaeische-seidenstrasse-p-4598.html

[7] CPB (2015). Schmelzende Eiskappen und die wirtschaftlichen Auswirkungen der Öffnung der Nordseeroute. URL: https://www.cpb.nl/sites/default/files/publicaties/download/cpb-discussion-paper-307-melting-ice-caps-and-economic-impact-opening-northern-sea-route. pdf

[8] Kofner J. (2020). Vorteile für Deutschland einer EU-Region-zu-Region-Freihandelsinitiative nach COVID. MIWI-Institut. URL:  https://miwi-institut.de/archives/779

[9] Kofner J. (2021). Ermöglichung massiver Investitionen in Infrastruktur und Humankapital mit einem Deutschlandfonds. URL: https://kofner.de/archive/3504

[10] Braml M., Teti F., Aichele R. (2020). Apotheke der Welt oder am Tropf der Weltwirtschaft? Deutschlands Außenhandel auf dem Markt für Arzneimittel und medizinische Ausrüstung. ifo. URL: https://www.ifo.de/node/54636 

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