Warum der Industriestrompreis eine linke Schnapsidee ist

_ Jurij Kofner, Ökonom, MIWI Institut. München, 31. Mai 2023.

Der von Grünen und CDU/CSU vorgeschlagene Industriestrompreis ist eine planwirtschaftliche Subvention mit vielen Schattenseiten, die den Steuerzahler fast 60 Milliarden Euro kosten wird. Stattdessen würden die von der AfD vorgeschlagenen energiepolitischen Maßnahmen den Strompreis für das gesamte Verarbeitende Gewerbe auf unter 9 Cent pro kWh senken und in dieser Hinsicht mit China konkurrenzfähig machen.

Wieso ist der Strompreis für Industriekunden so hoch?

Im vergangenen Jahrzehnt hat sich der Strompreis in Deutschland für Großindustriekunden mehr als verdoppelt, von 8,7 Cent pro kWh im Jahr 2013 auf 18,4 Cent pro kWh in 2022.[1]

Insgesamt hat Deutschland bereits seit einigen Jahren die höchsten Strompreise weltweit. In den USA sind diese fünfmal niedriger, in China 8,5-mal.[2]

Kein Wunder also, dass es täglich Meldungen gibt, dass deutsche Unternehmen ihre Produktion ins Ausland verlagern.[3] Die hohen Stromrechnungen führen zur Deindustrialisierung. So schrumpfte zwischen 2016 und 2022 der Anteil des Verarbeitenden Gewerbes an der deutschen Wirtschaft von 26 Prozent im Jahr 2016 auf 23,5 Prozent im Jahr 2022.[4] Seit 2021 bis März 2023 ist vor allem die Produktionsentwicklung in energieintensiven Industriezweigen um 16,5 Prozent eingebrochen.[5]

Grüne und CSU schlagen Industriestrompreis vor – mit vielen Nachteilen

Um die verärgerte Großindustrie etwas zu beruhigen, schlägt das grüne Wirtschafts- und Klimaministerium nun die Einführung eines Industriestrompreises in Höhe von 6 Cent pro kWh vor.

Allerdings ist der Begriff etwas irreführend. Zunächst einmal sollte man nicht vergessen, dass die Ampelregierung bereits eine Strompreisbremse von 13 Cent pro kWh für große Industriekunden eingeführt hat. Sie gilt bis mindestens April 2024. [6] Laut Sachverständigenrat wird die Strompreisbremse insgesamt den deutschen Steuerzahler 13,8 Milliarden Euro kosten, also rund 920 Euro pro Nettosteuerzahler.[7]

Zweitens darf nicht vergessen werden, dass der Staat seit Sommer 2022 die EEG-Umlage für stromintensive Unternehmen zahlt. Nach Berechnungen des IW Köln wird dies allein zwischen 2022 und 2026 über 50 Milliarden Euro kosten, also 3.300 Euro pro Nettosteuerzahler.[8]

Drittens gilt laut Vorschlagspapier des BMWK der Industriestrompreis nicht für das gesamte Verarbeitende Gewerbe, sondern nur für die energieintensive Industrie und auch nur für 80 Prozent des Verbrauchs. Der Industriestrompreis soll ab 2024 bis 2030 in Kraft sein.[9]

Die Einführung eines Industrieenergiepreises wird nicht nur von Grünen und SPD, sondern auch von der vermeintlich marktwirtschaftlichen CDU/CSU unterstützt.[10] Und auch die mediale Kritik des Koalitionspartners FDP dürfte wie schon beim Heizungsverbot, beim Atomausstieg und beim Verbrenner-Aus nur eine Scheinopposition sein.

Der vorgeschlagene Industriestrompreis ist aus vielen schwerwiegenden Gründen abzulehnen:

Wie bei der Strompreisbremse handelt es sich beim Industriestrompreis um eine staatliche Deckelung des Großhandelsstrompreises vor Steuern. Diese Subvention soll vom Staat finanziert werden, also durch Neuverschuldung und/oder höhere Steuern.

Nach Berechnungen auf Basis der Daten des BDEW und des Verbands der energieintensiven Industrien[11] wird der Industriestrompreis 8,4 Milliarden Euro pro Jahr betragen. Bis 2030 belaufen die Gesamtkosten (unter der vereinfachten Annahme konstanter Energieintensität und Strompreisen) knapp 59 Milliarden Euro, umgerechnet 39.000 Euro pro Nettosteuerzahler.[12]

Der Industriestrompreis soll mit Mitteln des Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) finanziert werden, der eigentlich ins Leben gerufen wurde, um Unternehmen zu helfen, die durch die Corona-Restriktionen in Schwierigkeiten geraten sind. Diese klare Zweckentfremdung ist somit aus haushaltsrechtlicher Sicht eine äußerst fragwürdige aber leider bereits gängige Praxis des FDP-Finanzministeriums.

Da der Industriestrompreis nur die energieintensive Industrie abdeckt, führt dies zum Wettbewerbsnachteil für den Rest des Verarbeitenden Gewerbes und für alle anderen nichtindustriellen Wirtschaftszweige, die bereits jetzt etwa den doppelten Preis zahlen. Dies wird zu einer weiteren Erosion des deutschen Mittelstands führen.

Warum sind die Strompreise so hoch?

Es gibt eine viel bessere Alternative zum Industriestrompreis. Doch um das zu verstehen, muss man zunächst die Gründe für die extrem hohen und gestiegenen Strompreise in Deutschland verstehen.

Die etablierten Parteien wollen den Wählern glauben machen, dass die Gründe dafür der Krieg in der Ukraine und weitere unabhängige externe Faktoren seien. Das ist jedoch falsch. Der Hauptgrund für die Energiepreisexplosion ist die grüne Energiewende.

Durch den Ausbau der volatilen Wind- und Solarenergieerzeugung gepaart mit dem Ausstieg aus Kern- und Kohlekraft haben sich die jährlichen Gesamtkosten für Netzstabilisierungsmaßnahmen zwischen 2013 und 2021 von 214 Mio. auf 2,3 Mrd. Euro verzehnfacht.[13] Laut Bundesnetzagentur werden sich diese bis 2024 im Vergleich zu 2013 um das 55-fache auf 11,8 Milliarden Euro erhöhen.[14]

Nach Schätzungen des ehemaligen RWE-Managers Christian Loose anhand des ewi-Merit-Order-Tools[15] haben der Ausstieg aus Atom- und Kohlekraft, die Verteuerung von Emissionszertifikaten sowie geringere Investitionen in fossile Brennstoffe aufgrund des Pariser Klimaabkommens den durchschnittlichen deutschen Merit-Order-Strompreis fast versiebenfacht, von 3 Cent pro KWh in 2017 auf 20 Cent pro KWh in 2021. Von diesem Preisanstieg sind 12 Prozent auf die Verknappung der Energieangebots, 30 Prozent auf die Verknappung von CO2-Zertifikaten und 58 Prozent auf die Pariser Abkommen zurückzuführen.[16] Es sollte angemerkt werden, dass dieser Kostenanstieg bereits vor dem Ukraine-Krieg stattgefunden hatte.

Nicht zuletzt beliefen sich die Steuern im April 2023 auf 11,2 Prozent des Strompreises für Industriekunden.[17]

Alternativlösung statt interventionistischer Industriestrompreise: Ausweitung des Energieangebots und Steuersenkungen

Wie man sieht, ist der Industriestrompreis somit ein staatlicher Eingriff zur Behebung eines durch die Regierungspolitik verursachten Problems. Daher sollte nicht eine weitere Subvention die Lösung für die hohen und gestiegenen Stromkosten in Deutschland sein, sondern eine Ausweitung des grundlastfähigen und regulierbaren Energieangebots sowie eine Senkung der Steuern auf Strom.

Die AfD fordert beispielsweise den Ausstieg Deutschlands aus dem EU-ETS, eine Senkung der Stromsteuer auf das EU-Mindestniveau und eine Reaktivierung der sechs letzten verbliebenen Kernkraftwerke.[18] Berechnungen anhand des ewi Merit-Order-Tools zeigen, dass diese drei Maßnahmen allein den Strompreis für Industriekunden um fast 70 Prozent auf 8,8 Cent pro kWh senken würden (Vergleich der Stromerzeugungsstruktur zwischen Ende April 2023 und 2017 plus einem CO2- Zertifikatspreis von „0“ Euro). Dadurch würden die Stromkosten für die gesamte deutsche Industrie, und nicht nur für die energieintensiven Unternehmen, konkurrenzfähig zu den Produktionsbedingungen in China werden. Bei einer Senkung der Energiesteuern auf das EU-Minimum und dem Bau neuer Kernkraftwerke, wie von der AfD gefordert, würde der Strompreis sogar noch niedriger ausfallen.

Quellen:

[1] BDEW (2023). BDEW-Strompreisanalyse April 2023. URL: https://www.bdew.de/media/documents/230420_BDEW-Strompreisanalyse_April_2023_20.04.2023.pdf

[2] Global Petrol Prices (2023). Electricity prices for business, September 2022 (kWh, Euro). URL: https://www.globalpetrolprices.com/electricity_prices/

[3] Einen kleinen Überblick über die jüngsten Produktionsschließungen in Bayern kann man hier finden: Antrag AfD. Ausmaß der Deindustrialisierung Bayerns offenlegen! Drucksache 18/27681. URL: https://www1.bayern.landtag.de/www/ElanTextAblage_WP18/Drucksachen/Basisdrucksachen/0000017500/0000017546.pdf

[4] Destatis (2023). VGR Monitor Deutschland. Wirtschaftsstruktur. URL: https://service.destatis.de/DE/vgr-monitor-deutschland/bip.html

[5] Destatis (2023). Produktionsentwicklung in energieintensiven Industriezweigen. URL: https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Industrie-Verarbeitendes-Gewerbe/_Grafik/_Interaktiv/produktionsentwicklung-energieintensiven-industriezweige.html

[6] Bundesregierung (2022). Energiepreisbremsen kommen. URL: https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/energiepreisbremsen-2145728#:~:text=Die%20Strompreisbremse%20wirkt%20f%C3%BCr%20alle,f%C3%BCr%20das%20gesamte%20Jahr%202023.

[7] SVR (2023). Konjunkturprognose. März 2023. URL: https://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/fileadmin/dateiablage/Konjunkturprognosen/2023/KJ2023_Gesamtausgabe.pdf

[8] VBW (2022). Wirtschaftspolitisches Monitoring des Bundeshaushalts. IW Köln. URL: https://www.vbw-bayern.de/Redaktion/Frei-zugaengliche-Medien/Abteilungen-GS/Wirtschaftspolitik/2022/Downloads/22115-vbw-Studie-Wirtschaftspol-Monitoring-Bundeshaushalt_final.pdf

[9] BMWK (2023). Arbeitspapier des BMWK zum Industriestrompreis für das Treffen Bündnis Zukunft der Industrie. URL: https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/W/wettbewerbsfaehige-strompreise-fuer-die-energieintensiven-unternehmen-in-deutschland-und-europa-sicherstellen.html

[10] CDU / CSU – Fraktion im Bundestag (2023). Energieintensive Industrien dürfen nicht im Stich gelassen werden. URL: https://www.cducsu.de/presse/pressemitteilungen/energieintensive-industrien-duerfen-nicht-im-stich-gelassen-werden

[11] EID (2022). Stromverbrauch der energieintensiven Industrien. URL: https://www.energieintensive.de/

[12] In Deutschland gibt es ca. 15 Mio. Nettosteuerzahler: Heinsohn G. (2016). Deutschland muss endlich den Abgang von Hochkompetenten stoppen. NZZ. URL: https://www.nzz.ch/meinung/auswanderungsland-deutschland-kompetente-wandern-ab-ld.104291

[13] Bundesnetzagentur (2022a). Bericht Netzengpassmanagement. Gesamtes Jahr 2021. URL: https://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Downloads/DE/Sachgebiete/Energie/Unternehmen_Institutionen/Versorgungssicherheit/Engpassmanagement/Zahlen%20Ganzes%20Jahr2021.pdf;jsessionid=371B0FEC4DC4E862D537801A61A24952?__blob=publicationFile&v=4

[14] Bundesnetzagentur (2022b). Prognose des Umfangs und der Kosten der Maßnahmen für Engpassmanagement. URL: https://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Downloads/DE/Sachgebiete/Energie/Unternehmen_Institutionen/Versorgungssicherheit/Netzreserve/PrognoseNetzSystemsicherheitskosten2022.pdf?__blob=publicationFile&v=2

[15] Arnold F. et al. (2022). ewi Merit Order Tool 2022. ewi. URL: https://www.ewi.uni-koeln.de/en/publications/ewi-merit-order-tool-2022-update/

[16] Loose C. (2023). Stellungnahme für die Anhörung zur Strom- und Gaspreisbremse am 09.03.2023 im Landtag Bayern. Gesellschaft für Fortschritt in Freiheit e.V.

[17] BDEW (2023).

[18] Mannes G. (2023). Sicher, günstig, technologieoffen – AfD-Fraktionen von Bund und Ländern beschließen Münchner Resolution zur Energiepolitik. AfD-Fraktion im Bayerischen Landtag. URL: https://www.afd-landtag.bayern/2022/12/23/gerd-mannes-sicher-guenstig-technologieoffen-afd-fraktionen-von-bund-und-laendern-beschliessen-muencher-resolution-zur-energiepolitik/

Haftungsausschluss

Die in dieser Veröffentlichung geäußerten Ansichten sind ausschließlich die des Autors und geben nicht die Position irgendwelcher zugehöriger oder erwähnter Personen oder Organisationen wieder.

Beitrag teilen