Wohlfahrts- und Migrationseffekte der Aufhebung aller deutschen Sanktionen

_ Jurij Kofner, Ökonom, MIWI – Institut für Marktintegration und Wirtschaftspolitik. Berchtesgaden, 15. August 2021.

Die Kosten der Sanktionen

Sanktionen werden oft als „Krieg mit anderen Mitteln“ angesehen, hauptsächlich über Finanz- und Handelskanäle, die dazu dienen, Druck auf andere Staaten, Organisationen und Einzelpersonen auszuüben, von denen angenommen wird, dass sie gegen internationale Normen oder Grundsätze verstoßen haben.

Als Teil der transatlantischen Gemeinschaft (NATO) beteiligt sich Deutschland auch an westlichen Sanktionen. 2018 waren 30 Länder, darunter der Iran, Libyen, Syrien und Russland, von der deutschen Beteiligung an multilateralen Sanktionen betroffen.[1]

Forschungsergebnisse des IfW Kiel, die mit Trade-Gravity-Modellen für die Jahre 2012-2016 und 2019-2020 ermittelt wurden, zeigen, dass die Handels- und Sozialkosten von Sanktionen und Gegensanktionen durchschnittlich 0,2 Prozent des deutschen BIP (6,8 Mrd. Euro) betragen.[2],[3] Eine Handelsgravitationssimulation des Autors unter Verwendung der Global Sanctions Data Base[4] für das Jahr 2015 kam zu ähnlichen Ergebnissen von 0,19 Prozent des BIP (Formel 1).

(1) [5]

Xij = exp(b1lnDISTij + b2CNTGij + b3BRDRij + b4_COMCURij + b5_FTAplusij + b6_CUplusij + b7_MILSANCTij + b8_TRADESANCTij + b9_FINSANCTij + b10_TRAVSANCTij + pi  + cj) + eij

Laut einer aktuellen Studie des ifo Instituts verursachen allein die Sanktionen gegen und aus Russland 4/5 der gesamten sanktionsbedingten Wohlfahrtsverluste für Deutschland (0,16 Prozent des BIP oder 5,5 Mrd. Euro).[6]

In diesem Zusammenhang sollten die Auswirkungen der extraterritorialen Sanktionen der USA für Europa nicht vergessen werden. Zwischen 2009 und 2019 zahlten US-Unternehmen nur 3 Prozent der Geldbußen für US-Sanktionen gegen Iran, Kuba, Krim etc. Im gleichen Zeitraum zahlten EU-Unternehmen 83 Prozent aller Geldbußen für Verstöße gegen US-Sanktionen gegen Drittstaaten. Zusammen mit schweizer Unternehmen waren es 94 Prozent. Die Gesamtsumme der gegen europäische und schweizer Unternehmen verhängten Geldbußen belief sich auf 5,3 Mrd. US-Dollar.[7]

Insgesamt sind Bundesbürger durch die Sanktionspolitik der Bundesregierung um durchschnittlich 82 Euro im Jahr ärmer.

Aufhebung aller Sanktionen

Im Zuge einer Neuausrichtung seiner außenpolitischen Sicherheitspolitik sollte das offizielle Berlin seine Teilnahme an allen internationalen Sanktionen beenden. Ein solcher Schritt würde bedeuten, dass wohl auch alle sanktionierten Staaten ihre Gegensanktionen gegen Deutschland aufheben würden.

Damit würden nicht nur die Wirtschaftskosten der Sanktionspolitik von 0,2 auf 0 Prozent des deutschen BIP sinken – ein Gewinn von 6,8 Milliarden Euro oder 82 Euro pro Bürger – aber die Aufhebung der Sanktionsspirale würde auch das Wirtschaftswachstum in den Hauptherkunftsländern der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge ankurbeln.

Die oben erwähnte Gravitationssimulation des Autors zeigt, dass in einem solchen Szenario das reale Bruttoinlandsprodukt Syriens um 0,2 Prozent, Irans um 0,3 Prozent, Afghanistans um 0,8 Prozent, Somalias um 1,6 Prozent, Eritreas um 1,7 Prozent und Libyens um 2 Prozent steigen würde.

Nach eigenen Berechnungen des Autors auf Basis der Ergebnisse von Regressionsmodellen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel)[8] würde dieses Wirtschaftswachstum die kumulierte Auswanderungsrate aus diesen Ländern nach Deutschland um 0,5 Prozent reduzieren.

Anmerkungen

[1] Deutscher Bundestag (2018). Gegensatz der Bundesrepublik Deutschland gegen Drittstaaten. URL: https://www.bundestag.de/resource/blob/568274/257a1eb646467e1e33d595696f61c3e1/WD-2-094-18-pdf-data.pdf | Die Ukraine wird vom Autor nicht mitgezählt, da sich die westlichen Sanktionen nicht gegen die Ukraine, sondern gegen Einzelpersonen und Unternehmen auf der Krim und im Donbass-Gebiet richten.

[2] Chowdry S., Felbermayr G., et. al. (2020). The Economic Costs of War by Other Means. IfW Kiel. URL: https://www.ifw-kiel.de/publications/kiel-policy-briefs/2020/the-economic-costs-of-war-by-other-means-15301/

[3] Hinz J. (2017). The Cost of Sanctions: Estimating Lost Trade with Gravity. IfW Kiel. URL: https://www.ifw-kiel.de/fileadmin/Dateiverwaltung/IfW-Publications/Julian_Hinz/the-cost-of-sanctions-estimating-lost-trade-with-gravity/kwp_2093.pdf

[4] Felbermayr, G., A. Kirilakha, C. Syropoulos, E. Yalcin, and Y.V. Yotov. (2020). The Global Sanctions Data Base. European Economic Review, Volume 129.  URL: https://ideas.repec.org/p/ris/drxlwp/2020_002.html

[5] Wobei Xij der Warenhandelsstrom vom Exporteur i zum Importeur j ist; DISTij ist die bevölkerungsgewichtete Distanz zwischen i und j; CNTGij ist ein Contiguity-Dummy; BRDRij ist ein Grenz-/internationaler Handels-Dummy; COMCURij ist ein Dummy, wenn Exporteur i und Importeur j eine gemeinsame Währung haben; FTAplusij ist ein Dummy, wenn der Exporteur i und der Importeur j Teil eines umfassenden Freihandelsabkommens sind; CUplusij ist ein Dummy, wenn der Exporteur i und der Importeur j Teil einer Zoll- und Wirtschaftsunion sind; MILSANCTij ist eine Attrappe für eine Militärhilfesanktion des Exporteurs i gegenüber dem Importeur j; TRADESANCTij ist ein Dummy für eine Handelssanktion des Exporteurs i gegen den Importeur j; FINSANCTij ist ein Dummy für eine finanzielle Sanktion des Exporteurs i gegen den Importeur j; TRAVSANCTij ist ein Dummy für eine Reisesanktion des Exporteurs i gegenüber dem Importeur j; pi ist der Exporteur mit festen Effekten; cj ist der Importeur feste Effekte; eij ist der Fehlerterm.

Das kontrafaktische Szenario wird umgesetzt, indem die jeweiligen Sanktionsdummies von eins auf null gesetzt werden. Eine genauere Beschreibung der Methodik und der weiteren verwendeten Datensätze findet man hier: Kofner Y. (2021).  Trade and welfare effects of European core country unification. MIWI Institute. URL: https://miwi-institut.de/archives/866

[6] Flach L., Larch M., Yotov Y., et al. (2020). Die volkswirtschaftlichen Kosten der Sanktionen in Bezug auf Russland. ifo Institut. URL: https://www.sihk.de/servicemarken/presse/pressemeldungen/dezember2020/sihk-russland-sanktionen-kosten-5-45-milliarden-euro-pro-jahr-4979864

[7] Timoveef I. (2020). The European paradox: US sanctions policy on EU businesses. MGIMO University. URL: https://russiancouncil.ru/analytics-and-comments/analytics/evropeyskiy-paradoks-politika-sanktsiy-ssha-v-otnoshenii-biznesa-stran-es/

[8] Bencek D., Schneiderheinze C. (2019). More development, less emigration to OECD countries – Identifying inconsistencies between cross-sectional and time-series estimates of the migration hump. IfW Kiel. URL: https://www.ifw-kiel.de/fileadmin/Dateiverwaltung/IfW-Publications/Claas_Schneiderheinze/KWP_2145.pdf

Haftungsausschluss

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