Kurzanalyse zur Gas-Krise zur in Deutschland

_ Jurij Kofner, Ökonom, MIWI Institut. München, 18. November 2022.

Woher die große Abhängigkeit von russischem Gas?

Im Jahr 2021 stammten über die Hälfte (55 Prozent) der deutschen Gasimporte aus Russland.

Aufgrund der Energiewende hat sich der Gasanteil im deutschen Energiemix spürbar erhöht: beim Primärenergieverbrauch von 15,4 Prozent in 1990 auf 20,7 Prozent in 2020 (Einführung des EEG) und weiter auf 26,4 Prozent in 2020, sowie bei der Nettostromerzeugung von jeweils 6,7 auf 8,8 und 16,8 Prozent.

War russisches Gas billiger?

Es war daher verständlich, nach günstigen Gaslieferungen zu suchen, von denen die russischen objektiv am billigsten waren: Zwischen 2013 und 2021 war der durchschnittliche Gaspreis von Gazprom für Deutschland mit 2,7 Cent pro kWh um ca. 21 Prozent günstiger als für andere europäische Länder (3,4 Cent pro kWh), während US-Flüssiggas im Durchschnitt 30 bis 40 Prozent teurer war als russisches Pipelinegas für Europa.

Schaden die Sanktionen Russland?

Gemeinsam mit anderen europäischen Ländern erließ Deutschland Sanktionen gegen russische Kohle und Öl, die im Sommer 2022 in Kraft traten. Dieses Embargo hatte zwar einen verkraftbaren Effekt auf eine reduzierte Energieversorgung mit Öl(-produkten) und Kohle, erhöhte aber deren Preise. Im Juni 2022 drosselte Russland und stoppte ab September 2022  gänzlich seine Gaslieferungen an Deutschland

Im Gegensatz dazu scheinen die westlichen Sanktionen auf russische Energieträger die Fiskalkapazität Russlands nicht wesentlich zu beeinträchtigen. Im Jahr 2022 sind die russischen Staatseinnahmen aus dem Öl- und Gassektor (136 Mrd. Euro) um schätzungsweise 31 Prozent höher als im Jahr 2021 (103,9 Mrd. Euro) und mehr als doppelt so hoch wie im Jahr 2020 (63,3 Mrd. Euro).

Wie wahrscheinlich ist eine Gasmangellage?

Angesichts des Ausfalls der Erdgasimporte aus Russland, u.a. auch durch den Terroranschlag auf die Nord Stream 1 und 2 Unterseepipelines, halten führende deutsche Forschungsinstitute eine Gasrationierung der deutschen Industrie in Januar-März 2023 für sehr wahrscheinlich.

Im Fall kälterer als üblich Temperaturen werden Gaslücken im Frühjahr 2023 und Winter 2023/2024 als für sehr wahrscheinlich prognostiziert.

Was würde im Falle eine Gasunterdeckung passieren?

Dies würde die letzte Notfallstufe im „Notfallplan Gas“ des BMWK auslösen und zu einer katastrophalen Rezession der deutschen Wirtschaft in Tiefe von 7,9 Prozent im Jahr 2023 und von 4,2 Prozent im Jahr 2024 führen. Insgesamt würde der Wertschöpfungsverlust über 193 Mrd. Euro betragen und es wären etwa 5,6 Millionen heimische Arbeitsplätze von den Folgen betroffen.

Die deutsche Wirtschaft spürt die gestiegenen Gaspreise bereits jetzt

Neben dem drohenden Gasmangel macht der extrem gestiegene Gaspreis der heimischen Wirtschaft arg zu schaffen. Zwischen Juli 2015 und April 2021 lag der durchschnittliche Gasgroßhandelspreis in Europa (niederländisches TTF) bei rund 16 Euro pro MWh. Bis August 2022 explodierte der Preis um das 15-fache auf über 230 Euro pro MWh.

Interessanterweise erreichte der Preis Anfang Oktober 2021 bereits 100 Euro pro MWh, also fast ein halbes Jahr vor dem Krieg in der Ukraine.

Die deutsche Industrie reduzierte den Gasverbrauch um 25 Prozent im Jahresvergleich, was jedoch darauf zurückzuführen war, dass viele Produktionsstätten geschlossen werden mussten. Den daraus resultierenden Wertschöpfungsverlust beziffert der DIHK auf 20 Mrd. Euro.  Nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln kostet der Wirtschaftskrieg die deutsche Wirtschaft im Jahr 2022 über 120 Mrd. Euro, also 3,3 Prozent des BIP.

Ist die Gaspreisbremse eine gute Idee?

Nach längerer Schaukelpolitik und einer Verzögerung von mehreren Monaten hat sich die Ampel-Regierung im Oktober 2022 letztendlich für einen Gaspreisdeckel von 12 Cent pro kWh unter 20 Prozent des Durchschnittsverbrauchs für Haushalte und 7 Cent unter 70 Cent des Durchschnittsverbrauchs für die Industrie entschieden. Obwohl mit diesem Instrument in der Tat eine begrenzte Entlastung und Sparanreiz geschaffen wird, hat die Gaspreisbremse mehrere eklatante Nachteile: Erstens, sie ist ein massiver staatlicher Eingriff gegen den marktwirtschaftlichen Preisbildungsmechanismus. Zweitens sind Gaskraftwerke von Maßnahme ausgeschlossen, weshalb diese keinen preissenkenden Effekt auf den Strompreis haben wird. Drittens werden die Kosten der Gaspreisbremse auf 96 Mrd. Euro berechnet, welche durch eine weitere Neuverschuldung des Bundeshaushalts unter Umgehung der Schuldenbremse finanziert werden soll. Diese müssen in der Zukunft über Steuereinnahmen finanziert werden.

Sind norddeutschen LNG-Terminals eine gute Lösung?

Nein. Alle vier geplanten norddeutschen LNG-Terminals sollen bis 2024 insgesamt eine Jahreskapazität von maximal 195 TWh haben, was nur 35 Prozent der bisherigen russischen Gasexporte nach Deutschland und 19 Prozent der bundesdeutschen Gasnachfrage entspricht.  Auch ist eine Verzögerung der Inbetriebnahme wahrscheinlich.

Zudem ist eine kWh amerikanisches Tankergas nicht nur 30-40 Prozent teurer als russisches Pipelinegas. Die transatlantische LNG-Seefracht stößt zudem auch 4-Mal mehr CO2 aus.

Günstiges Gas für Deutschland: Maßnahmenpaket

Steuersenkungen

  • Abschaffung der nationalen CO2-Abgabe und der deutschen Teilnahme am EU-Emissionshandelssystem
  • Senkung der Stromsteuer auf das EU-Minimum
  • Senkung der Energiesteuern auf das EU-Minimum
  • Senkung der Mehrwertsteuer auf Energieträger auf das EU-Minimum

Pipelinegas

Öffnung der verbleibenden Pipeline von Nord Stream 2, die Deutschland mit bis zu 225 TWh pro Jahr versorgen könnte. Dies würde, beispielsweise, 61 Prozent des jährlichen Gasverbrauchs der deutschen Industrie (370 TWh) oder die für die Gaselektrifizierung benötigte Menge fast vollständig decken (250 TWh inkl. GHD).

Die Öffnung von Nord Stream 2 würde auch den aktuellen Preis für die Gaselektrifizierung um 17,3 Prozent auf 20,3 Cent pro kWh senken, wenn Deutschland im Rahmen eine möglichen Langzeitvertrages rund 4 Cent pro kWh für russische Gaslieferungen zahlen würde, was über dem russischen Gaspreis für die meisten EU-Länder liegen würde (3,4 Cent pro kWh im Jahrzehnt vor der Ukraine-Krise) und damit rund ein Viertel der deutschen Gasstromerzeugung versorgen würde.

Biogas

Durch die Liberalisierung bürokratischer Richtlinien und Maßgaben könne die Kapazität von heimischen Biogasanlagen bis Ende 2023 um 20 Prozent gesteigert werden, ohne Beeinträchtigung der Lebensmittelproduktion. Dies würde zusätzliche 19 TWh Strom oder 7 TWh Biomethan in Industriequalität liefern.

Entlastungs-Effekt

Inklusive der oben genannten Steuersenkungen wäre der durchschnittliche Gaspreis für Haushalte um 26,5 Prozent niedriger bzw. 4 Cent pro kWh günstiger und kosten nur 11,3 Cent pro kWh. Der Industriegaspreis wäre um 23,9 Prozent oder 4,8 Cent pro kWh niedriger und läge nun bei 15,4 Cent pro kWh. Diese Maßnahmen würden einen durchschnittlichen mit Gas heizenden Haushalt um 717 Euro jährlich und ein großes energieintensives Industrieunternehmen, wie, z.B., die Wacker Chemie AG, um über 200 Mio. Euro jährlich entlasten.

Deutsches Erdgas?

Ausbau der heimischen Gasförderung. Im Jahr 2021 förderte Deutschland 50 TWh Erdgas (5 Prozent des Inlandsverbrauchs). Die derzeit erschlossenen Gasreserven werden auf rund 313 TWh geschätzt. Die noch unerschlossenen unkonventionellen Erdgasreserven in Deutschland werden auf ca. 26.866 TWh geschätzt, was ausreichen würde, um den derzeitigen heimischen Gasverbrauch für über 26 Jahre zu decken. Die Erschließung dieser Reserven wird vom ZEW als wirtschaftlich sinnvoll eingeschätzt, wenn der Gasgroßhandelspreis über 50 bis 60 Euro pro MWh bleibt, wovon, u.a., das ewi Köln ausgeht. Bei solch einem Vorhaben natürlich auch alle ökologischen und gesundheitlichen Aspekte abzuwägen.

Analysen zum Thema:

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