Rechts-libertär vs. völkisch-etatistisch: Zur Ausrichtung der AfD als Volkspartei
_ J.C. Kofner, AfD Bayern. Vollversion des erstveröffentlichten gekürzten Textes auf der Krautzone. München, 27. April 2025.
Im Januar bezeichnete die Parteivorsitzende Alice Weidel in dem viel beachteten Gespräch mit Elon Musk die AfD als eine konservativ-libertäre Partei. Nur zwei Monate später organisierte die AfD-Fraktion im Bayerischen Landtag eine umfangreiche Podiumsdiskussion, an der unter anderem der persönliche Berater von Xavier Milei sowie die Führungsspitze des Ludwig-von-Mises-Instituts Deutschland teilnahmen. Das Thema dieser Veranstaltung war die Erfolge einer libertären Wirtschaftspolitik – Musk und Milei als Vorbilder für ein wirtschaftliches Umdenken in Deutschland.
Der Faschismus-Vorwurf
Daher stellt sich die Frage: Ist die AfD tatsächlich eine libertäre Partei? Auf den ersten Blick erscheint dies eher unwahrscheinlich.
Die Mainstream-Medien behaupten zum einen, dass sich die Partei nach dem Weggang wirtschaftsliberaler Professoren wie Lucke, Petry und Meuthen zwangsläufig in eine stärker etatistische Richtung bewegt haben müsse. Zum anderen greifen sie immer wieder das Narrativ auf, wonach der sogenannte „Flügel“ und andere völkisch-etatistische Kräfte innerhalb der Partei die Kontrolle übernommen und die AfD in eine illiberale Richtung gesteuert hätten. Von ihren Gegnern wird die AfD häufig als vermeintlich faschistische Partei tituliert, wobei der Faschismus im Kern auf Korporatismus und Etatismus basiert – wie Benito Mussolini einst formulierte: „Alles im Staat, nichts gegen den Staat, nichts außerhalb des Staates.“
Ordoliberalismus als Fundament
Zahlreiche AfD-Sympathisanten aus libertären und unternehmerischen Kreisen stellen daher immer wieder die Frage, wie groß der tatsächliche etatistische sowie „linkswirtschaftliche“ Einfluss innerhalb der AfD wirklich ist.
Die Antwort lautet eindeutig: Die AfD ist – im engen Sinne des Wortes – keine libertäre Partei. Vielmehr gründet die wirtschaftspolitische Überzeugung der Mehrheit ihrer Mitglieder auf der Idee der Sozialen Marktwirtschaft, die auf den Prinzipien von Ludwig Erhard, Walter Eucken und Wilhelm Röpke basiert. Die Partei verteidigt den ordoliberalen Ansatz, der eine freie Marktwirtschaft vorsieht, in der der Staat als fairer Schiedsrichter agiert, der lediglich für gleiche Wettbewerbsbedingungen sorgt, ohne aktiv in den Markt einzugreifen. Diese Wirtschaftsordnung fußt auf konservativen und traditionellen Werten, die sich evolutionär entwickelt haben und das Erbe der westlichen abendländischen Kultur widerspiegeln.
Die wirtschaftsliberalen Positionen der AfD sind nicht nur in ihren Parteiprogrammen und Grundsatzdokumenten erkennbar, sondern werden auch durch empirische Studien des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sowie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln) untermauert. Keine andere bedeutende Partei vertritt ein wirtschaftsliberaleres Programm – selbst die FDP, die in der Praxis einen staatlich-interventionistischen Kurs verfolgt und sowohl in Theorie als auch Praxis eine linksliberale Ausrichtung zeigt, kann hier nicht mithalten. Besonders bemerkenswert ist auch, dass die Parteiführungen in den ostdeutschen Landesverbänden konsequent auf dem ordoliberalen Fundament der Sozialen Marktwirtschaft stehen – was sich aus öffentlichen Aussagen, Publikationen und persönlichen Gesprächen mit führenden Vertretern wie Björn Höcke, Oliver Kirchner und Maximilian Krah bestätigen lässt.
Einerseits: Der Einfluss von Schnellroda
Der Eindruck eines übermächtigen völkisch-etatistischen Einflusses auf die AfD wird dabei durch eine gut organisierte, intellektuell aktive Vorfeldstruktur verstärkt. Mehrmals im Jahr finden in Schnellroda Akademien zur intellektuellen Debatte statt, an denen zahlreiche, vor allem junge Parteimitglieder teilnehmen. Zudem sind Verlage wie „Jungeuropa“, „Sezession im Netz“ und „Antaios“ äußerst aktiv und veröffentlichen kontinuierlich neue Schriften. Diese Akteure stützen sich auf ein fundiertes ideologisches Weltbild, das bis zu den Denkern der Konservativen Revolution zurückreicht. Mein voller Respekt gebührt diesen Akteuren, und ich möchte betonen, dass ich den Begriff „völkisch-etatistisch“ in keiner Weise abwertend verwende, sondern ihn als objektive Beschreibung eines legitimen Denkansatzes für unsere Partei sehe.
Andererseits: Das (nicht-rechts)-libertäre Vorfeld
Interessanterweise ist der personelle Bezug zwischen der AfD und den Organisationen des völkisch-etatistischen Vorfelds enger als der zur libertären Seite. So weist beispielsweise die Erasmus-Stiftung – eine Organisation mit klar marktwirtschaftlicher und ordoliberaler Ausrichtung – bereits hochwertige Tagungen und Seminare auf. Dennoch bleibt ihr struktureller Einfluss aufgrund mangelnder Finanzierung bislang begrenzt. Aktuell haben Institutionen wie die Hayek-Gesellschaft oder das Mises-Institut einen größeren Einfluss auf die AfD. Diese Organisationen verfolgen jedoch eine allgemein libertäre Ausrichtung und sind bewusst nicht rechts-libertär. Es gibt zwar inhaltliche Schnittmengen, insbesondere dadurch, dass viele AfD-Vertreter an den Veranstaltungen und Weiterbildungen dieser Institutionen teilnehmen, jedoch bleibt die Verbindung zwischen diesen Institutionen und der AfD oberflächlich und nicht integrativ. Sie existieren parallel zur AfD und sind strukturell deutlich getrennt.
Aufholbedarf: Eigene Konzepte, kontroverser Austausch und Vorfeld, Vorfeld, Vorfeld
Was dem intellektuellen Vorfeld der AfD derzeit jedoch eklatant fehlt, ist eine eigene rechts-libertäre Denkfabrik oder Netzwerk – ähnlich dem Intercollegiate Studies Institute oder dem Cato Institute, wie sie beispielsweise die republikanische Partei in den USA vorweisen kann. Idealerweise sollten die Erasmus-Stiftung oder die geplante ESN-Stiftung diese Lücke füllen. Dabei ist es entscheidend, dass es nicht nur um oberflächliche Veranstaltungen geht, die immer wieder bekannte Themen wie Remigration oder Anti-Woke rezitieren, sondern um die Entwicklung und Debatte neuer, kontroverser Ansätze, die einen echten intellektuellen Mehrwert für die weltanschauliche Ausrichtung der Partei bieten.
Diese konzeptuelle Lücke muss als Teil eines größeren Problems verstanden werden, nämlich der derzeitigen Unterentwicklung des intellektuellen Ökosystems der AfD. Zum Vergleich: Politiker der US-Republicans können auf eine breite Palette von Denkfabriken zurückgreifen, die von anarchokapitalistischen bis hin zu rechtskonservativen Ansätzen reichen. Viktor Orbán in Ungarn investiert gezielt in den Aufbau eines starken konservativen Vorfelds, da er (oder seine Berater) den strategischen Wert der „kulturellen Hegemonie“ im Sinne von Antonio Gramsci erkannt haben.
Die Rolle eines solchen ganzheitlichen intellektuellen Netzwerks im Kontext der AfD sollte vor allem in der Entwicklung und Diskussion eigener Konzepte liegen. Dabei sind Beiträge aus sowohl libertären als auch völkisch-etatistischen Kreisen unerlässlich, um die Partei ideologisch zu einer neuen Volkspartei zu formen, die auch den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsen ist. Ein intensiver Austausch hilft zudem, Vorurteile abzubauen: So ist es ist, zum Beispiel, keinesfalls gerechtfertigt, Benedikt Kaiser als vermeintlichen Sozialisten zu bezeichnen, noch sollten Libertäre als naive Handlanger des woken Großkapitals diffamiert werden. Vielmehr muss eine fundierte Debatte mit Input aus beiden Seiten entstehen, die sich den drängendsten Fragen unserer Zeit widmet – etwa der Verhinderung des schleichenden Aussterbens der deutschen Nation, dem Umgang mit der Macht von Big Tech und Big Finance, der Reaktion auf den Protektionismus der USA, der bereits vor Trump an Bedeutung gewann, und natürlich der Frage, inwiefern und wie genau der Staat sozialpolitisch für Wohnen, Rente und Armutsbekämpfung sorgen soll.
Vor fünf Jahren organisierte die Junge Alternative Brandenburg eine Debatte zwischen Benedikt Kaiser und Dimitrios Kisoudis, die als wahres intellektuelles Highlight in Erinnerung geblieben ist. Es ist bedauerlich, dass seitdem kaum vergleichbare Veranstaltungen stattgefunden haben – gerade solche kontroversen Debatten sind jedoch dringend notwendig, um den intellektuellen Diskurs innerhalb und um die Partei systematisch zu fördern.
Ordnungsstaat und rechtslibertärer Populismus
Abschließend will ich meine persönliche Einschätzung der gebotenen weltanschaulichen Ausrichtung der AfD zusammenzufassen: Die Partei sollte sich auf die Synthese von Freiheit und Tradition berufen und eine klare ordoliberale Ausrichtung verfolgen – im Sinne von Denkern wie Wilhelm Röpke und dem amerikanischen konservativen Frank S. Meyer. Eine marktwirtschaftliche, wettbewerbsbasierte Ordnung, die zugleich auf traditionellen konservativen Werten und Tugenden des westlichen Abendlandes fußt, soll dabei als Fundament dienen.
Inhaltlich muss die AfD für einen schlanken, nicht zu verwechseln mit einem schwachen, und zugleich einen starken Ordnungsstaat eintreten, der das Gewaltmonopol für sich beansprucht und sich auf seine drei Kernaufgaben – innere und äußere Sicherheit sowie Rechtsstaatlichkeit – konzentriert, während er in allen anderen Bereichen Freiheit garantiert. Dabei sollte die Partei das amerikanische Motto „Life, Liberty and Property“ in den Mittelpunkt rücken und sich noch stärker für Föderalismus und Subsidiarität engagieren.
Die Lösung der sozialen Frage darf nicht in einer zunehmenden Abhängigkeit der Bürger vom Wohlfahrtsstaat liegen – auch nicht „von rechts“, sondern in der Förderung der Eigentumsbildung breiter Bevölkerungsschichten – finanziell ermöglicht durch radikale Einsparungen in Bereichen wie Asyl, Genderpolitik, Klima, Energiewende und Entwicklungshilfe. Gleichzeitig müssen auch Einwände von Historikern wie Peter Turchin berücksichtigt werden, der darauf hinweist, dass eine zu große Ungleichheit in der Gesellschaft zu einem Auseinanderbrechen der sozialen Ordnung führen kann.
Zudem muss das Außenbild der AfD als rechtslibertärer Populismus verstanden werden – eine Linie, die Murray Rothbard theoretisch verankerte und die in der Praxis von Politikern wie Xavier Milei und Donald Trump erfolgreich umgesetzt wird. Ein solcher Populismus muss bodenständig, laut und entschlossen agieren, um den medial privilegierten Narrativen entgegenzutreten.
Angesichts der wirtschaftlichen und kulturellen Herausforderungen, die sich unter anderem aus einer überhöhten Staatsquote und einer der höchsten Steuer- und Abgabenlasten weltweit ergeben, ist ein Rechtsruck in der Bundesrepublik unumgänglich – sowohl wirtschaftsliberal verstanden als auch im s.g. „Kulturkampf“. Mileis rechts-libertärer Populismus, der ihm insbesondere in Arbeiterkreisen und in ärmeren Stadtteilen mehr Stimmen eingebracht hat als sein peronistischer Kontrahent, zeigt eindrucksvoll, dass man nicht zwangsläufig auf wohlfahrtsstaatliche Narrative setzen muss, um politische Erfolge zu erzielen. Auch bei der Bundestagswahl 2025 war die AfD die stärkste Partei unter den Arbeitern – nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer freiheitlichen Programmatik.
Ein intensiver, intellektueller Diskurs, der sowohl libertäre als auch völkisch-etatistische Impulse integriert, ist somit der Schlüssel, um die AfD zu einer modernen Volkspartei zu transformieren – einer Partei, die die Synthese von Freiheit und Tradition verkörpert und den Herausforderungen unserer Zeit gewachsen ist.
Haftungsausschluss
Die in dieser Veröffentlichung geäußerten Ansichten sind ausschließlich die des Autors und geben nicht die Position irgendwelcher zugehöriger oder erwähnter Personen oder Organisationen wieder.